Leitung: Prof. Dr. Birgit Zweigle
Iran-Haus
Drakestr. 3, 12205 Berlin
25.02.2017
Prof. Dr. Birgit Zweigle: „Meine Aufgabe ist es Menschen beizubringen, wie man Religion für Kinder habhaft macht und sie in die Welt der Kinder hineinversetzt. Speziell für Kinder, die in der Schule sind. Das ist ein besonderer Lernort. Wir haben hier drei Lernorte vertreten: Kindergarten, Schule und Moschee. Der Kindergarten ist ein großer Lernbereich, der große Zukunft hat. Ich unterrichte auch muslimische Erzieherinnen, die das starke Bedürfnis haben, eine islamische Religionspädagogik für den Kindergarten zu entwickeln. Bezüglich des Lernortes Schule beschränken wir uns auf die Grundschule. Natürlich gibt es die Möglichkeit den Islamunterricht von der ersten bis 13. Klasse anzubieten, aber das ist unrealistisch, weil es sich derzeit noch im Aufbau befindet. Der dritte Lernort ist die Moschee, wo Kinder in die Moschee hineinkommen und teilweise auch Arabisch lernen, aber auch wissen wollen was ihr Glaube in dieser Gesellschaft bedeutet.
Religionspädagogik in Deutschland oder im Christentum ist eine relativ junge Wissenschaft und wird dann notwendig, wenn der Glaube nicht mehr selbstverständlich ist. Religionspädagogik ist in Deutschland erst 150 Jahre alt und ist entstanden in dem Moment, als plötzlich durch eine Säkularisierung viel mehr Menschen nicht mehr an Gott glaubten. So wurde es notwendig, den Glauben zu erklären. Deswegen ist Religionspädagogik im engeren Sinne eine Wissenschaft, die erst Ende des 19., Anfang des 20. Jhd. in großer Breite entstanden ist.
Das ist eine Umbruchsitutation, die wir auch in Bezug auf den Islamerleben.
Menschen kommen nach Deutschland und somitin eine andere Kultur, weshalb sich die Kinder plötzlich selbst erklären müssen. Man würde von einer apologetische Situation reden, also man muss verteidigen was man tut. Wenn ich in einer Gesellschaft bin, wo alle eine ähnliche und gleiche Kultur haben, brauche ich nicht erklären, warum ich 5-mal am Tag bete, warum ich kein Schweinefleisch esse oder faste. Hingegen wenn das nicht alle tun, dann falle ich auf und muss es erklären. Ich muss es nicht nur anderen gegenüber erklären, sondern auch für mich erklären und verstehen. Da man vorher die Dinge einfach getan hat, muss man in Deutschland – auch wenn man Muslim ist – selber für sich verstehen, warum man eigentlich tut, was man tut. Daher brauchen wir nicht nur Religionspädagogik für Kinder, sondern auch für Erwachsene. Die Mütter und Väter,bzw. die Familie als Ganzes ist der Hauptort der Religionspädagogik. Man könnte auch vom Lernort Familie reden, das heißt auch Mütter und Väter können nicht sagen „tu das so, weil wir es immer so getan haben“, sondern man muss auch als Eltern wissen, warum man etwas tut. Das ist eine Grundsituation.
Ansatz: Ich möchte deutlich machen, was lernen überhaupt ist. Man nennt das in der Pädagogik „Didaktik“. Wie funktioniert Lernen überhaupt? Man muss, um Menschen etwas beizubringen,erst einmal wissen, was lernen ist. Wie funktionieren Menschen? Der Mensch ist überall auf der Welt gleich, zwar mit verschiedenen Ausprägungen, aber es gibt bestimmte anthropologische Grundlagen, die wir überall haben und deswegen möchte ich damit einsteigen, Ihnen deutlich zu machen, „was ist Lernen und wie funktioniert Lernen?“. Wenn Sie als Lehrer oder Lehrerin wissen – egal an welchem Lernort – wie lernen funktioniert, können Sie diesen Prozess auch besser anwenden. Das ist heute mein erster Schritt, dass ich überhaupt über das Lernen rede und wie es funktioniert. Der zweite Schritt, da geht es hier um das religiöse Lernen. Dort habe ich eine Grundtheorie. Ich sage, dass in Tradition, Ritualen, Texten, Erzählungen (Biographie Muhammad, Hadithund Qurantext) konzentrierte Erfahrungen sind. Gesammelte Erfahrungen, die in einem Text, in einem beschriebenen Verhalten oder ineinem Ritual gespeichert sind. Diese gespeicherten Erfahrungen können im 8., 12. oder21. Jahrhundertgenutzt und vitalisiert werden. Sie sind schon immer da, aber sie müssen auf das jeweilige „Jetzt“ übertragen werden. Daher möchte ich Ihnen im zweiten Schritt erklären, welche Erfahrungscontainer in der Religion vorhanden sind.Im dritten Schritt, schauen wir dann wie diese gespeicherten Erfahrungen mit den Erfahrungen der Kinder oder Erwachsenen kommuniziert werden können.
Ein Grundbegriff mit dem ich viel arbeite, ist der Begriff„Erfahrung“. Ich beginne damit, dass ich deutlich machen möchte„was ist Erfahrung?“. Wenn man im Deutschen Begrifflichkeiten verstehen will – wie hier den Begriff der „Erfahrung“ -, dann greift man meistens auf einen großen Theoretiker Deutschlands zurück, nämlich Immanuel Kant. Der hat immer alles, was zu denken ist, gut kategorisiert. Kant definiert Erfahrung folgendermaßen.
Erfahrung ist gleich Sinnes-Affektion plus Begriff.
Wir haben drei Elemente. „Sinnes-„ steht für die fünf Sinne, die wir haben: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten. Durch diese Sinne kommt die Information der Welt in uns hinein. Das sind sozusagen unsere Türen, die wir nach außen offen haben. Hier kommen jeden Moment ganz viele Eindrücke in uns hinein. Draußen kommt ein Rauschen von den Autos, wir nehmen es gar nicht war, es kommt ständig, es istein unablässiger Fluss an Eindrücken, die durch Sinne in uns einwirken. Das zweite Element ist „Affektion“: Herz oder Gefühle. Die Gefühle filtern, ob wir das, was in uns hereinkommt, als gut oder schlecht bezeichnen. „Achtung Gefahr, sei vorsichtig“ oder etwas Angenehmes. Das heißt die Informationen, die von außen hereinkommen werden geordnet. Ich öffne mich für sie oder ich gehe in den Kampf und in die Abwehr. Das Dritte, das zur Erfahrung gehört, ist der „Begriff“. Hier wird das Ganze rational eingeordnet. Hier werden die eingeflossenen Informationen in eine kognitive Landschaft eingeordnet.
Beispiel:
Person A sieht einen Hund auf sich zukommen und hört ihn Bellen. In seiner Vergangenheit ist dieser Mensch gebissen worden, das heißt es hat sich ein Gefühlsmuster „Gefahr“ in ihm abgelegt.Daher kommt sofort das Gefühl „Angst“, wenn er den Hund sieht und bellen hört. Aus dem Gefühl„Angst“erfolgt nun die Deutung: „Der Hund greift mich an!“ Daraus ergibt sich die körperliche Reaktion: „Der Mensch weicht zurück“.
Person Bsieht einen Hund auf sich zukommen und hört ihn bellen. Dieser Mensch ist mit Hunden aufgewachsen und hat ein positives Gefühlsmuster gegenüber Hunden. Daher deutet er das Verhalten des Hundes als Begrüßung und nicht als Angriff. Seine körperliche Reaktion: Er geht einen Schritt auf den Hund zu.
Beide haben gleiche Sinneseindrücke und trotzdem reagieren sie geprägt durch ihre Geschichte, vollkommen anders und deuten anders. Was sagt Kant? Wir erleben die Wirklichkeit nicht objektiv, sondern immer durch einen Filter, wir haben in uns Muster. Jeder Mensch hat eine Art Rucksack auf seinem Rücken und in diesem Rucksack sind Muster abgelegt. Person A hat das Muster „Hunde beißen“, Person B hat das Muster„Hunde erfreuen mich“. Diese Muster bestimmen ihre Wahrnehmung im Hier und Jetzt. Solche Muster haben wir nicht nur in Bezug auf unser Denken, sondern wir haben Muster in 3 Dimensionen: affektiv, in Bezug auf unsere Gefühle, kognitiv, in Bezug auf unser Denken und pragmatisch, in Bezug auf unser Handeln. Wir haben Handlungsmuster, z.B. lernen wir als Kind, dass man morgens aufsteht, ins Badezimmer geht und sich die Zähneputzt. Wenn man spätestens 10 Jahre alt ist, denkt man nicht mehr darüber nach und geht ins Badezimmer und putzt sich jeden Morgen die Zähne. Das ist ein Handlungsmuster, was durch Gewohnheit geschult wird. Solche Gewöhnungsmuster gibt es auch in der Religion. Die Einführung des 5-maligen Betens am Tag zum Beispiel soll dem Menschen zur Gewohnheit werden, man soll es einfach immer tun ohne darüber nachzudenken. Dann wenn man es 10 Jahre und 20 Jahre macht, kann man nicht einfach damit aufhören. Das ist die Idee insbesondere von Ritualen.
Auch emotional gibt es Muster, genau dann wenn wir verwundet worden sind, aber auch wenn etwas schönist. Bezüglich des Beispiels ist Person A gebissen worden und hat das emotionale Muster: Hunde tun weh. Person B hat das emotionale Muster, das Hunde wunderbar sind und ihm helfen.
Kognitive Muster beziehen sich darauf, wie man die Welt erklärt. Jemand ist aufgewachsen und hat ein bestimmtes Muster, wie Muslime sind oder Christen sind, oder wie er das Phänomen einkaufen sieht. Man nennt das Vorurteile. Jeder hat solche Vorurteile, die auch nicht negativ oder positivsind, sondern sie sind einfach für jeden Menschen da. Man redet heute von Vorurteilsbewusstheit.
Wozu sind die Muster da? Der Mensch braucht die Muster, sonst würde er verrückt werden. Wenn wir keine Muster hätten, müssten wir über alles im Hier und Jetzt neu nachdenken. Wenn ich keine Muster habe, muss ich alles neu erkunden. Durch jene weiß ich, dass das einfach ein Tisch ist, ich muss nicht darüber nachdenken. Das heißt viele dieser Muster helfen uns, eineKomplexitätsreduktion vorzunehmen, das Komplexe der Wirklichkeit zu ordnen. Das ist der Gewinn. Der Nachteil ist, dass ich mit diesen Mustern nicht mehr genau hinschaue.Nämlich alles, was mir in meinem Hier und Jetzt begegnet, beurteile ich mit dem, was ich schon in der Vergangenheit gelebt habe, wie Person A und B. Die Stärke der Muster ist die Hilfe, unsere Welt zu ordnen. Der Nachteil ist, sie verstellt uns den Zugang zu den Dingen im Hier und Jetzt.
Lernen bedeutet diese Muster in Bewegung zusetzen. Wenn ich ein emotionales Muster habe, muss ich in einem Lernprozess im Hier und Jetzt ein Neumuster entwickeln, entweder auf emotionaler, kognitiver oder pragmatischer Ebene. Wenn ich vorher gar nicht gläubig war und plötzlich Muslim geworden bin, müsste ich lernen eine Gewohnheit,5-mal am Tag zu beten, in mein Leben zu integrieren. Ich müsste es ordnen, da ich ein altes Muster ablegen und neues Muster mir anlegen muss. Das gleiche gilt für unser Denken und unser Fühlen. Das ist ein komplizierter Prozess und wir tun das nicht freiwillig. Wenn wir Muster haben, beharren wir darauf. Die emotionalen Muster sind am schwierigsten zu ändern, die Kognitiven hingegen vielleicht am einfachsten, aber die Pragmatischen muss man in Begleitung lernen.Gemeinsammüssen Dinge eingeübt werden, weshalb bestimmte religiöse Dinge nur in der Familiezu lernen sind, weil nur die Familie der Ort ist, wo man Gewohnheiten einüben kann. Ich brauche viel Zeit, um eine Gewohnheit bei jemandem zu ändern. Wenn ich diese gemeinsame Zeit nicht habe und nur Unterricht von ein bis zweiStunden die Woche, kann man vielleicht einen Gedankenanstoß geben, aber keine Gewohnheit ändern. Dazu braucht man einen Lebensraum, der viel umfassender da ist. Deswegen ist Familie als Lernort für eine Religion so wichtig, da sie uns nur über die pragmatischen Veränderungsmöglichkeiten Raum gewinnt.
Nicht nur einzelne Personen haben Muster, sondern auch Kulturen, dazu gehört eine Religion. Jetzt kommen die Kinder mit einem Musterrucksack nach Deutschland und treffen auf einen anderen Musterrucksack/Standardrucksack. Sie haben das Problem, dass sie mit zwei Rucksäcken jonglieren müssen, nämlich dem Rucksack von zuhause, den Eltern und dem anderen Rucksack, den sie von Freunden/Bekannten/Fernsehen usw. bekommen. Und das macht die Spannung aus und da müssen wir unseren Kindern helfen, wie sie damit umzugehen haben. Falsch wäre es zu sagen, kümmere dich nicht um den neuen Rucksack. Dann ist das Kind verloren und kann sich nicht integrieren. Dasist aber leider oft der Fall, dass viele sagen, die Welt, in die wir jetzt reingehen ist unbekannt und dementsprechend gefährlich und böse. Das ist aber nicht die Möglichkeit, so können wir unsere Kinder nicht leben lassen. Eine andere Möglichkeit, die viele Kinder wählen, wenn Ihnen das nicht erklärt wird. Wenn sie dem zweiten Rucksack begegnen, schmeißen den ersten Rucksack weg und sagen meine Ursprungskultur, meine muslimische Herkunft will ich nicht, da ich dadurch anders bin als alle anderen Kinder. Das ist aber keine Lösung,weil sich somit Familien trennen, Konflikte entstehenund die Kinder sind nirgendwo wirklich zuhause. Das ist unsere Verantwortung, dass wir diese Kinder, die 2 Rucksäcke haben, helfen diese beiden miteinander zu bearbeitet. Die haben es schwerer als Kinder, die nur mit einem Rucksack aufwachsen. Deswegen brauchen die muslimischen Kinder, die auch noch eineZweitkultur neben Ihrer Religionskultur haben, existenziell von uns Erwachsenen eine Hilfe, das Leben zu deuten.
Ich würde mir jetzt gerne Rückfragen anhören, wie weit Sie das verstanden haben.
Dr. Irmgard Pinn:
Wenn Sie mir erlauben, möchte ich eine Anmerkung dazu machen. Ich denke zum Verständnis hilft, wenn wir uns vergewissern, dass die Struktur und Kultur anders ist in diesem Fall, in der muslimischen und deutschen Kultur. In der Anthropologie spricht man von externalisierenden und internalisierenden Kulturen. Ich glaube, dass da im Lernprozess ein ganz großes Hindernis besteht. In den externalisierenden Kulturen – das sind asiatische zum großen Teil, aber auch speziell die islamische Kultur – geht man davon aus, dass ein Kind wie eine Pflanze aufwächst. Ein Kind, das zur Welt kommt braucht eine behütende, fürsorgliche und nährende Umwelt, um zu gedeihen. Das heißtman erwartet von dem Kind nicht viel, sondern die Erwachsenen sind verantwortlich bis zum Schulanfang und darüber hinaus. Die Eltern und Umwelt sind verantwortlich dafür, dass dieses Kind sich gut entwickelt. Von dem Kind wird nicht so viel erwartet, sondern man sagt ihm was es tun soll, das Kind soll gehorsam sein, aber das woran oft nicht gedacht wird, ist, versteht es überhaupt, warum es das tun soll. Es soll einfach hineinwachsen in die Gemeinschaft.
Westliche Kulturen sind internalisierende Kulturen, das heißt das Kind wird als potenzieller Erwachsene angesehen und es wird von vorne herein möglichst viel Wert auf Selbstentfaltung, auf verstehen und darauf, dass er den Entwicklungsprozess internalisieren soll, gelegt. Er soll nicht nur gehorchen, sondern sie sollen auch verstehen, warum sie etwas tun sollen und möglichst soweit verändern, dass man ihnen keine Anweisungen mehr geben muss, dass sie nicht dazu verpflichtet sind gehorsam zu sein, sondern es aus eigenem Willen tun. Das führt zu zwei theologischen Ansichten. Daraus entstehen in Kindergärten und Schulen große Missverständnisse, in denen die Erzieherinnen darüber trauern, dass sich die muslimischen Jungs wie Machos benehmen und die kleinen Mädchen sich den Jungen unterordnen.Die Erwachsenen regulieren das Kind und in der westlichen Welt oder deutschen Umgebung soll das Kind sich selbst regulieren.Das ist das, was insbesondere in Schulen zu Problemen wird, aber eben auch, wie bei Ihnen die Jugendlichen, die klare Ansagenerwarten. Es ist meine Meinung.
Teilnehmer 1:
Ich glaube die Erziehung ist kulturell anders. Ich glaube im Iran wird anders erzogen, wie in den arabischen Ländern oder in den Maghreb Ländern. Ich glaube, dass Erziehung auch kulturell eine große Rolle spielt.
Dr. Pinn:
Aber die meisten Kinderin diesen Einrichtungen sind nunmal in Deutschland türkischstämmig, dann kommt arabisch, dann kommt iranisch – in den meisten Regionen jedenfalls. Und das ist die Klage, wenn ich mit Erzieherinnen zu tun habe, auch mit Grundschullehrerinnen, dass die sagen, die machen, was sie wollen. Externalisierende und internalisierende Kulturen bedingen, einfach schon mal ganz andere Erziehungsstile und –konzepte und das sollte man auch lernen und mitbenutzen.
Teilnehmer 2:
Ich komme selber aus einer islamischen Schule in Wien und wir haben auch aus der Praxis heraus erlebt, dass wenn man nicht den Zugang zu den Eltern sucht, kann man nicht an die Kinder herankommen. Man muss wissen, wie die Familien ticken. Da gibt es auch große Unterschiede innerhalb der muslimischen Kultur. Deshalb ist das ein sehr wesentlicher Punkt und ich möchte das sehr unterstützen.
Dr. Markus Gerhold:
Die Frage, die sich mir immer stellt, als jemand der in der islamischen Theologie und als Lehrer tätig ist, in wie weit sind diese Muster, die sie jetzt dargestellt haben – die auch sehr interessant sind – auf den Islam z.B.anzuwenden oder inwiefern finde ich solche Ansätze in der islamischen Religionspädagogik, wenn es so eine überhaupt gibt. Ich bin der Meinung, die befindet sich noch in Kinderschuhen, aber es gibt ja klassische Quellen zu dem Thema. Welche Ansätzefinde ich z.B. im Quran. Das wäre mir wichtig, den Blick aus der Religion heraus, denn bisher hatte ich das Gefühl, dass es eher auch in Bezug auf das Christentum ist, eher ein Blick von außen. Eine weitere Frage, inwieweit können wir eigentlich in Zukunft noch von Herkunftskultur sprechen? Das Problem ist, wieder neu durch die Flüchtlingsfamilien aufgekommen, dass die auch sehr viel Kultur mitbringen, aber ich erlebe sehr viele Schüler und Studenten, die sich von der Kultur der Eltern nicht distanzierten, aber die gar nicht mehr so pflegen, aber ihre Religion Islam z.B. weiter behalten, lernen und verstärken möchten. Obwohl ich mir bewusst bin, dass Kultur und Religion ineinander verschränkt ist, aber der Bereich der kulturellen Ambitionen, wird bei vielen jungen Muslime z.B. immer schwächer oder sie distanzieren sich von bestimmten Ambitionen auch, dass man klären muss. Das moderne muslimische Ehepaar, das in Deutschland lebt, ist ganz anders als die Eltern und Großeltern, die aus der Türkei oder anderen Ländern kommen.
Teilnehmer 1:
Wenn Sie hier in Deutschland zur Schule gehen und sie haben einen ausländischen Elternteil, kriegt dieses Kind einen Immigranten Status, das heißt nicht deutscher Herkunft, heute noch. Das heißt die Gesellschaft distanziert diese Kinder automatisch schon von früh auf.
Prof. Dr. Zweigle:
Sie läuten den nächsten Schritt ein. Wir wollen uns jetzt die Kinder anschauen. Ich habe hier immer abstrakte Kinder, jeweils Mädchen und Junge, auf den Plakaten, für die verschiedenen Lernorte, das heißt sechs Kinder und drei Lernorte. Ich möchte Sie bitten, dass Sie sich mal hineinversetzen, auch wenn Sie nicht unmittelbar mit dem Bereich zu tun haben, und dass Sie überlegen, was unsere Kinder oder Jugendliche für einen Erfahrungshorizont haben, auf welche Spannungen sie stoßen. Das kann was Positives, aber auch was Negatives sein. Überlegen Sie sich z.B. für Sara, was ist typisch für ein muslimisches Mädchen im Kindergarten, wo sind die Spannungen, auf die sie stößt, so dass wir eine Kindergartengruppe haben, die sich überlegt, wie geht’s dem Standartjungen und dem Standartmädchen. Das gleiche gilt für die Schule und die Moschee.
Nach der Gruppenarbeit:
Prof. Dr. Zweigle: Sara und Abdul als erstes aus dem Kindergarten, wenn Sie folgendes einfach vorstellen würden.
Teilnehmer3:
Wir hatten am Anfang ein bisschen ein Begriffsproblem, wer ist Sara und Abdul, wer ist das klassisch muslimische Kind? Wir haben es reduziert darauf, dass es hierlebt, aber welchen kulturellen Hintergrund hat es. Wir haben uns geeignet, das ist ein Kind aus einer Familie, die versucht, den Glauben zu praktizieren. Wir haben uns auf ein islamisches Kindergarten geeinigt und so ein Kind wird mit Sachen konfrontiert, mit dem es nicht konfrontiert werden sollte. Das eigene Weltbild, wird vollkommen in Frage gestellt. Es gibt nur einen Gott. Es muss seinen innersten Instinkten und Bedürfnissen widerstehen beim Essen, bei der Ideologie, bei den Festen, an denen sie kein Geschenke bekommen und dem Bedürfnis nach feiern. Sie sehen eine völlig andere Welt, eine Auseinandersetzung mit 2 Welten. Ihre eigene Existenz wird nicht so sehr bejaht, wie es sich das Kind wünscht. Es entsteht ein existenzieller Konflikt. Ein Erwachsener kann Differenzieren, aber als ein Kind kann ich nicht differenzieren. Und oft das subtile, es wurde gesagt subtile Bemerkungen von den Erzieherinnen. Wenn eine Mama sagt mein Kind ist Vegan. Das ist für eine Erzieherin einfacher zu akzeptieren, als wenn eine Mutter sagt mein Kind möchte halal essen. Ein Kind weiß nicht, was halal oder vegan ist. Das Kind spürt die subtile Wahrnehmung der Erzieherin und kann es nicht artikulieren. Die Sache mit Kopftuch ist meistens noch kein Thema. In Bezug zu Jungen und Mädchen, da gab es Meinungsunterschiede, ob die Welt gleich ist oder nicht, dass ist wieder kulturell abhängig von der Nation oder Schicht. In manchen muslimischen Familien ist es Pflicht, dass Jungen nicht mit Puppen spielen dürfen, andere können das nicht bestätigen.
Prof. Dr. Zweigle:
Danke! Darf ich dann gleich bitten, dass die Schule weitermacht.
Dr. Gerhold:
Wir haben erst bemerkt, dass es schwierig ist einen Prototyp zu entwerfen, ob bei den Mädchen oder den Jungen. Wir haben auch sehr streng gesehen, dass es in den muslimischen Communities, in den verschiedenen Bundesländern sehr unterschiedlich ist. Wir haben hier in Berlin von Problemen gehört, die ich so aus NRW in der Stärke nicht kenne oder in anderen Bundesländern, daher haben wir uns auf Berlin beschränkt. Bei beiden, haben wir gedacht, was sie mitbringen, ein Gefühl für eine solidarische Kultur, dass man teilen soll. Beispiele aus der eigenen Erfahrungen zeigen, dass da oft Diskrepanzen zustandekommen, dass in muslimischen Kulturen, den Kindern oft beigebracht wird, du musst teilen, du musst auf andere Rücksicht nehmen, deine Rechte sind wichtig, aber auf die kannst du mal verzichten zugunsten eines anderen usw. Hier im Bildungssystem, schon im Kindergarten beginnt das, aber in der Schule vor allem sehr stark darauf Rücksicht genommen wird, was deine Grenzen und die des anderensind, was mir und was den anderengehört. Eine sehr individualisierte Kultur, wo man erst fragen muss, bevor man von anderen Kindern etwas bekommen soll. Sowohl für das Mädchen als auch für den Jungen haben wir Sachen, wieEssen und Speisevorschriften, die die Kinder mitbringen und einhalten wollen. Für das Mädchen gibt es schon in der Grundschule Probleme beim Sport- oder Schwimmunterricht – habe ich auch so auch noch nicht in der Stärke gesehen – aber das scheint in Berlin wohl eher ein Problem zu sein. Die Dame aus England hatte gesagt, wenn es Flüchtlingskinder sind, kommen andere Probleme dazu. Sie müssen sich auf eine neue Sprache und eine neue Umgebung einstellen, was dazu führen kann, dass sie sich erstmals etwas isoliert fühlen.Wir haben dann gesagt, es gibt auch viele muslimische Kinder, die hier geboren und großgeworden sind, bei denen es – insbesondere bei Mädchen –, eventuell wegen dem Kopftuch zur Isolation kommen kann. Bei beiden wird der Lehrer oder die Lehrerin als Bezugsperson oder Elternersatz angesehen. Diese Rolle wollen viele Lehrer und Lehrerinnen heutzutage nicht mehr übernehmen und gehen auf Distanz. Das wird dann oft von den Kindern nicht richtig verstanden oder sie sind traurig darüber. Es gibt viele Lehrer, die diese Nähe zu den Schülern nicht wollen, weil sie diese professionelle Distanz einhalten wollen. Bei Jungen aber auch bei Mädchen ist es ein Thema, auf jüngere Kinder achtzugeben, Mitverantwortung zu übernehmen, gerade wenn in der Einrichtung oder Schule Geschwisterkinder sind. Das wird manchmal als übergriffig empfunden von den Lehrerinnen oder Erzieherinnen. Der Junge oder das Mädchen hat den Auftrag von zuhause, du musst darauf achtgeben, wenn dein Bruder oder der Sohn oder Freund die Schuhe nicht zubinden kann, musst du helfen. Das sind so Dinge, die oft zu Missverständnissen führen. Klassenfahrten oder Ausflüge wurden angesagt, scheint bei Mädchen ein Problem zu sein als bei Jungen.
Teilnehmer 4:
Doch, dass ist ein Problem, weil ich habe diese Erfahrung selber erlebt, vor 15 Jahren. Meine Tochter wollte freiwillig ein Kopftuch tragen, sie war achteinhalb Jahre alt und sie wollte ein Kopftuch tragen. Dann habe ich ein Problem gekriegt, denn vor 15 Jahren war das ein bisschen kritisch. Wir haben in Charlottenburg gelebt, wo es nur deutsche Kinder gibt. Ich hatte ein Problem mit der Sportlehrerin. Sie hat gesagt, wenn jemand an dem Kopftuch deiner Tochter zieht, ist nicht unsere Verantwortung und die Versicherung wird das nicht bezahlen. Dann bin ich zur Leiterin gegangen und habe einen Brief geschrieben und unterschrieben, dass falls etwas passiert, ich dafür verantwortlich bin, wobei sie damals lediglich ein Kopftuch zum Überziehen getragen hat.
Teilnehmer 5:
Ich muss das auch selber bestätigen. Ich habe auch mit neuen Jahren angefangen. In der vierten Klasse durfte ich nicht, weil meine Grundschullehrerin es mir nicht erlaubt hat und in der fünften Klasse muss ich sagen, wurde ich gemobbt, egal ob von Lehrern oder von Schülern. Ich war auch die einzige in der Realschule, die Kopftuch getragen hat und auch die erste. Ich muss es wirklich bestätigen, weil es heutzutage wirklich schwierig ist und weshalb auch viele Mütter nicht wollen, dass ihre Töchter Kopftuch tragen, weil sie nur Probleme sehen, die unter anderem auch schlechtere Noten nach sich ziehen. Ich finde dagegen muss man auf jeden Fall was machen.
Teilnehmer 1:
Zu den schlechten Noten in der Schule. Es kommt jetzt ein neues Gesetz.Es gab dieses Diskriminierungsgesetz, deswegen istes immer sehr schlecht sich an den Schulleiter zu wenden. Das Diskriminierungsgesetz soll jetzt in Berlin neu veranstaltet werden, das heißt nicht mehr zum Schulleiter, sondern direkt zu dieser Abteilung, damit die Schüler nicht mehr diesen Lauf haben und dass die Eltern nicht mehr zum Schulleiter müssen, die das dann den Lehrern weiterleiten. Das Gesetz wird umgesetzt, das ist schon ausgearbeitet und wird wahrscheinlich die nächsten Monate nochmal kommen.
Teilnehmer 6:
An wen sollen wir uns wenden?
Teilnehmer 1:
An die Antidiskriminierungsstelle..
Teilnehmer 7:
Der Kreis schließt sich da im Endeffekt, die Erfahrung habe ich auch gemacht, als ich in der Grundschule Kopftuch tragen wollte und mich durchgesetzt habe. In der Tat gab es solches Verhalten seitens der Lehrer, wie den Sportunterricht lang,zwei Stunden, von dem Lehrer selbst in der Umkleide eingesperrt zu werden – Sicherheit und alles nicht berücksichtigt. Und da spielt enorm eine Rolle, dass Eltern die Schule als Autorität, Lehrer als Onkel wahrnehmen, weshalb sie so etwas dulden. Das war jetzt vor 10-15 Jahren, aber auch vor wenigen Jahren, habe ich einen Anruf bekommen aus Steglitz. Die Tochter kommt nach den Ferien mit dem Kopftuch in die Schule und wird der Schule verwiesen und sobald man dann mit einem anderen Ton spricht, hat das leider meistens erst eine Wirkung.
Dr. Gerhold:
Das ist aber auch in Berlin nicht legal…
Dr. Pinn:
Ich weiß nicht, viele von Ihnen das Aktionsbündnis Muslimischer Frauen kennen. Wir kümmern uns speziell um diese Sache und versuchen die Betroffenen zu vernetzen und uns in der Politik und der Gesetzgebung stark zu machen. Ich würde alle bitten, die bezüglich dessen Fragen haben, oder sich auch einer Vernetzung anschließen möchten, sich in der Pause mit mir in Verbindung zu bringen.
Prof. Dr. Zweigle:
Ich gebe jetzt das Wort an die Moschee.
Teilnehmer 8:
Das, was nur die Mädchen betrifft, ist das Kopftuch. Wenn sie in die Moschee gehen, tragen sie oftmals Kopftuch, teilweise freiwillig. Außerhalb der Moschee ist es dann ein Problem, ob man es weiterhin tragen soll oder nicht. Das ist die Diskussion, die persönlich entsteht. Ein weiteres Problem, dass z.B. das Gebet einfach nur eine Gewohnheit ist ohne richtigen Inhalt und auch dass Suren auswendig gelernt werden ohne dass der Inhalt klar ist, was es überhaupt bedeutet, was es für eine geistige Wirkung hat. Das Problem mit der Religion in der Familie. Das Kind lernt erst in der Familie die Religion kennen und die ist oftmals mit Kultur verbunden und mit Gewohnheiten, die in dieser Familie speziell praktiziert werden. Dann kommt es in die Moschee, wo teilweise die Religion und die Vorstellungen unterschiedlich sind. Außerdem entstehen auch Verwirrungen aller möglicher Arten, wenn die Kultur draußen und die Gesellschaft anders ist als inder Islamstunde oder auch der Religion selbst. Das kann auch aufgrund von der Sprache sein, dass man zuhause die Muttersprache spricht und außerhalb eine andere Sprache. Wenn die Kinder älter werden, ist das oft so, dass die Kinder besser deutsch verstehen und besser damit zurechtkommen. Oft werden die Predigten aber in der Muttersprache gehalten und in einem hohen Sprachniveau. Das ist dann wieder eine Barriere für die Kinder zu verstehen, was der Prediger überhaupt sagt. Auch das Thema Geschlechtertrennung: In der Schule ist das kein Thema, wenn man dann in die Moschee geht, gibt es dann doch Geschlechtertrennung. Im Kindergartenalter, ist das für die Kinder überhaupt nicht verständlich. Das andere ist die Unterstützung, die man in der Schule oder im Kindergarten erhält,von den Lehrern oder Lehrerinnen oder von den Erzieherinnen, die sehr offen und freundlich Fragen beantworten. Wenn die Kinder in die Moschee gehen ist das mehr oder weniger der Blick von oben nach unten. Ich sage dir, was du machen musst und du machst es ohne große Fragen zu stellen. Diese offene Gesellschaft, wo man alles in Frage stellen kann. Es ist auch oft so, dass Leihen die religiöse Ausbildung in der Moschee durchführen, keine professionellen Lehrkräfte sind, die dafür ausgebildet worden sind. Das sind mehr Personen, die sich ehrenamtlich dafür entschieden haben, dass zu machen. Ein weiterer Punkt ist der Erwartungsdruck von den Eltern, beispielsweise, „Wie viele Suren hast du gelernt? Was machst du in der Moschee? Was lernst du?Nutzt das überhaupt was?“.
Teilnehmer 1:
Für die Moschee würde ich noch hinzufügen. Imame, die hier sind, also Imame, die in den Moscheen lehren, verstehen die Probleme der Kinder und Jugendlichen, die sie hier haben meist nicht. Wir haben oft welche, die kommen aus dem Ausland und wissen gar nicht, wie die Leute hier leben.
Teilnehmer 9:
Da die religiöse Ausbildung in der Moschee und an die Schulbildung angepasst ist, findet sie außerhalb derSchulzeit statt. Das heißt dahinter steckt auch eine Motivationsfrage, ob die Kinder am Wochenende in die Moschee gehen wollen, um weitere Bildung aufzunehmen.
Teilnehmer 5:
Oder auch die Vernetzung in Deutschland. Wir kommen aus München und haben nur einen oder zwei Imame, die für uns zuständig sind. Wir müssen alles selber erlernen.
Dr. Gerhold:
Ich möchte einen Satz zu allem sagen, das ist auch mein Plädoyer. Wir müssen von den Stereotypen wegkommen. Ich finde in Bezug auf die Moschee, ja es gibt diese Probleme, aber es gibt auch mittlerweile sehr viele andere Modelle, die ganz anders laufen, wo es auch etwas ausgebildete Lehrkräfte gibt, wo auch die Lehrkräfte ein kleines Honorar bekommen, wo nach bestimmten Büchern mit Bastelideen etc. gearbeitet wird. Es ist vieles in Gange. Es ist nicht so, dass es immer überall so aussieht.
Prof. Dr. Zweigle:
Das ist ja umso schöner, da es pluraler ist. Aber diese zwei Schritte haben wir heute Morgen hier gemacht. Wir haben uns klar gemacht, was Lernen ist undwir haben versucht uns die Muster klarzumachen. Und es ist deutlich geworden, vor welchen großen Herausforderungen unsere Kinder stehen und dass sie unbedingt eine Begleitung brauchen in die dieser großen Herausforderung. Ich denke mir, dass es bei aller Differenziertheit hier deutlich geworden ist.
Pause.
Prof. Dr. Zweigle:
Heute Morgen war das wichtigste, was ich Ihnen deutlich gemacht habe, was lernen ist. Das Ergebnis ist unter anderem, dass ältere Leute oft schlechter Lernen als jüngere, weil die mehr Muster haben. Die Wissen schon eher, wenn irgendwas kommt, wie sie das einordnen müssen. Kleine Kinder hingegen haben noch wenig Muster, deswegen sind sie neugieriger. Wenn ich aber einen Lernvorgang initiieren will, dann muss ich in der Gegenwart, die Leute so begeistern, dass Sie Ihre alten Muster aufgeben und bereit sind Muster zu differenzieren. Man kann nie Muster komplett auslöschen, meistens modifiziert man sie. Das heißt es verändert sich ein bisschen was. Das ist die Grundidee, die hinter diesem ganzen Modell steht. Nun gehe ich einen weiteren Schritt. Ich komme zu den in der Tradition verborgenen Erfahrungen. Ich behaupte, dass dieTradition Erfahrungspakete sind. Die Tradition hat uns den Quran, die Hadithe und Rituale geschenkt. Diese Texte, Geschichten, Handlungsabläufe oder auch Rituale beinhalten eine Erfahrung. Aber diese Tradition– sage ich mal – sind alle ungefähr 600 n.Chr. entstanden, aber sie werden im Laufe der Zeit immer wieder angewandt. Das kann einer im Jahr 845 in der Türkei anwenden oder im Jahr 1920 in Deutschland oder im 1820 in England oder Amerika. Es heißt die Tradition wird genommen und wird in einer bestimmten Zeit ausgepackt und für Menschen brauchbar gemacht. Wir sind jetzt im Jahr 2017 und müssen für diese Kinder die Tradition auspacken, dass sie aus der Tradition leben und ihr Leben bewältigen können. Das ist die Idee, das ist Ihr Gehilfe im Jahre 2017 sinnvoll zu leben. Ich werde jetzt ein paar Beispiele bringen, um Ihnen deutlich zu machen, wie ich arbeite. Ich fange mit einem ganz einfachen Ritual an. Eine Tradition, die zum Islam gehört ist, dass man vor dem Gebet die Qibla sucht, die Ausrichtung nach Mekka. Wenn Sie sich überlegen, was steckt in diesem Ritual, als Erfahrungsschatz drin. Der Gedanke ist als Muslim global, das heißt ich könnte jetzt auch einen Satellitenbildschauen und weiß, dass überall auf der Welt Menschen sich in diese Richtung ausrichten. Das Besondere ist auch noch, dass sich das Gebet nach der Sonne ausrichtet, dass um die Welt herum die Menschen sich alle immer irgendwo niederbeugen. Und alle richten sich nach dem, wenn ich jetzt Mekka als das Haus Gottes nehme, alle richten sich zu diesem Haus. Es wird erzählt das Muhammad (saw), wenn er ein Problem hatte oder ein schwieriges Gespräch zu führen hatte, hätte er sich immer die Richtung Mekka zugewendet und hätte in die Richtung geredet, damit er weiß, mein Gespräch soll innerlich auf Allah (swt) ausgereichtet sein. Die Qibla ist nicht nur ein Ort, sondern Qibla heißt für Muhammad (saw), es ist die Ausrichtung meines Lebens. Manche richten sich aus und wollen in ihrem Leben ein tolles Haus usw. und da sagt die Qibla als Prinzip, denk daran, dass du dein Leben immer wieder zu Gott ausrichtest und dass du es nie alleine tust, sondern dass Millionen von Menschen rund um die Welt sich zu dem gleichen Herzen mitausrichten. Wenn wir nur allein die Erfahrung, die in dem Ritual derQibla enthalten ist, verwirklichen würden, ob im Jahr 2008, 2017 oder 1845 würden wir einen Weltfrieden haben unter allen Muslimen, weil wir wissen, wir richten uns alle zum gleichen Herzen aus. Das heißt in diesem Symbol, in diesem Religiösen Muster, was ein pragmatisches Muster ist, und durch dieses Ausrichten wird unserem Körper gepredigt, ihr seid Teil eines großes Körpers und alle gehörenzusammen und alle sind auf einHerz ausgerichtet. Wenn das jeder begreifen würde, dass man sich 5-mal am Tag ausrichtetund die Qiblasucht – Muhammad (saw) hat das öfters getan und teilweise in die Richtung geschlafen – zeigt die Grundausrichtung meines Lebens geht in Richtung Allah (swt). Der Mensch vollzieht körperlich, was er geistig vollziehen wollte. Eine Predigt an den Körper, die auch im Kopf ankommt.
Das Zweite steckt auch in der Qibla drin und ist die Ausrichtung nach der Sonne, die Idee, die hinter diesem Ritual steckt, ist, dass der Mensch sich in die Natur integriert. Die Blumen richten sich nach der Sonne aus, alles Leben richtet sich nach der Sonne aus. Wenn man sich 5-mal am Tag auch nach der Sonne ausrichtet, stimmt man ein in das große Gebet der Natur. Die Sonne ist natürlich symbolisch für das Göttliche. So ist alle Natur auch auf das Licht ausgerichtet und richtet sich nach Ihm. Wenn also jeder jeden Tag daran denken würde, dass er wie die Blumen oder die Bäume sich nach dem Licht orientiert, würde der Mensch begreifen, dass er von der Natur nicht entfremdet ist, sondern es wäre ein Ritual, dass ihn in die Natur integrieren würde. Es wäre wieder ein ganz elementares Ritual, indem eine ungeheure Botschaft steckt, wo wir modernen Menschen unsdoch von der Natur entfremden. Wenn uns kalt ist machen wir die Heizung an, wenn es dunkel ist machen wir das Licht an. Wir sind entfremdet von der Natur, aber dieses Ritual erinnert 5 mal am Tag, du bist Teil der Natur. Ich habe Ihnen jetzt ein Hauch angefangen, Ihnen Rituale zu deuten. Der Islam ist ein hoher Künstler der Rituale. Das nächste, was ich Ihnen erzählen will, ist die Geschichte Muhammads (saw), die Biographie, eine weitere große Schatzkammer.
Die Flucht nach Abessinien ist passiert, als Muhammad(saw) in Mekka war. Als eine starke Bedrängnis über die Gläubigen gekommen ist, sind einige nach Abessinien geflohen. Abessiniern wurde damals von einem christlichen König geführt. Und um diese Flucht gibt es jede Menge Aussprüche des Propheten, wie er die Flüchtenden auffordert, Hilfe zu suchen in einem christlichen Land.Dann sagt er z.B.: „Ihr seid auf dieser Welt wie Reisende. Ihr seid immer unterwegs. Manchmal ist das Leben wie das Verweilen unter einem schattigen Baum, dann genießt es. Manchmal ist es wie das durchqueren einer Wüste, dann fürchtet euch nicht, denn ihr seid Reisende, ihr seid hier nicht zuhause, sondern ihr seid auf einer immer dauernden Wanderschaft zum Himmel.“ Das heißt Muhammad (saw) interpretiert die Flucht als eine Grundhaltung zum Leben. Das Leben selbst ist sozusagen ein Unterwegssein. Das heißt, der Flüchtende erlebt etwas als Grundhaltung, die der Moslem immer in seinem Bewusstsein haben soll. Plötzlich bekommt das auferlegte Fluchtdasein eine hohe Bedeutung und eine Frömmigkeitsbedeutung. Ich muss es nicht mehr als Erniedrigung erleben, dass ich flüchte, sondern Muhammad (saw) deutet es um und deutet es als eine wahrhafte grundhaltende Frömmigkeit. Es gibt auch ein schönes Hadith über Jesus, das es im Christentum nicht gibt: „Das Leben ist wie eine Brücke, geh über sie, aber baue keine Häuser darauf.“Dieses Hadith hat so eine ähnliche Mentalität. Sie merken, die Biographie Muhammads (saw) birgt tausendfache Deutungen. Also jedenfalls können Sie merken, dass die ganze Geschichte Muhammads (saw) und seine Biographie Vorbild sein kann für eine bestimmte innere Frömmigkeit. Das Leben Muhammads (saw), als Vorbild und seine Biographie für die Verarbeitung der eigenen Biographie. Es gibt tolle Geschichten, die man vor allem im Kindergarten erzählen kann.
Auch ein großer Schatz liegt im Quran. Im Quran gibt es viele Geschichten und ich habe Ihnen heute eine Geschichte ausgewählt – bewusst – weil es um ein Schüler-Lehrer Verhältnis geht. Ich erzähle sie erstmal und dann habe ich den Text für sie und wir könnennachher am Text arbeiten. Aber ich möchte erst mal die Erzählung nutzen, da die Erzählung im Quranselber fragmentarisch erzählt wird. Es gibt aber ein ausführliches Hadith, das mehr Informationen gibt:
Eines Tages musste Moses seinem Volke Israel predigen. Das Volk fragte Ihn: „Wer ist der Schlauste Mensch auf der Erde?“ Da sprach Musa (as): „Ich.“ Da sprach Gott zu ihm: „Also Musa (as), ich habe einen Knechten der ist schlauer als du. Mache dich auf, und suche Ihn dort, wo die beiden Meere zusammenfließen. Eben da wirst du ihn finden. Nimm einen Fisch mit und wenn der Fisch verschwindet, dort wirst du meinen Diener finden.“ Moses tat es und ging mit seinem Knechten Joshua gemeinsam auf die Wanderschaft. Er sprach: „Ich werde so lange laufen, bis ich den anderen Knechten finde.“ Und sie machten sich auf den Weg. Als sie eine ganze Weile schon gelaufen sind, sprach plötzlich Musa (as) zu seinem Joshua: „Mach uns doch mal einen Frühstück.“ Dann sagt er: „Wir hatten einen Fisch mit und als wir beim Felsen waren, ist der Fisch ins Wasser gesprungen und jetzt ist er weg.“Da sagt Musa (as): „Warum hat du mir das nicht erzählt? Genau das war das Zeichen, was wir befolgen sollten.“ Also gingen sie zurück bis sie dort ankamen, wo die beiden Meere ineinander flossen. Und wie sie dort waren kam ein Knecht. Diesem Knechten Gottes, hatte Gott Weisheit geschenkt und Barmherzigkeit. So wie Moses ihn sah, sprach er: „Lass mich dein Schüler werden. Ich will dir folgen.“ Da sprach der Knecht:„Gott hat dir wahrlich Weisheit geschenkt, aber ob du meine Weisheit verstehst und ob du mich in Geduld ertragen kannst, das weiß ich nicht.“„Doch doch“, sprach Musa (as)„ich werde ganz bestimmt ertragen, was du mich lehrst. Nimm mich nur mit und du wirst sehen, ich werde gehorsam sein.“ Daraufhin sprach der Knecht: „Gut! Wenn du mit mir gehen willst, musst du mir eins versprechen. Solange du mit mir gehst, wirst du mich nicht eine Sache fragen bis ich es die erkläre.“ Die beiden zogen miteinander los und sie gingen des Weges und kamen an ein Wasser. Da war ein Schiff und sie gingen auf das Schiff. Als das Schiff sie hinübergetragen hatte, bohrte der Knecht in das Schiff ein Loch. Da sprach Moses: „Was war denn das, du machst hier Unrecht, die Leute haben uns brav über das Wasser getragen und du machst das Schiff kaputt. Was soll denn das?“ Da sprach der Knecht: „Versprachst du nicht, zu schweigen? Sagte ich nicht, du wirst nicht Geduld haben mit mir?“ Daraufhin sprach Moses: „Bitte entschuldige mich, ich werde jetzt nicht weiter fragen, ich habe es nur vergessen, dass ich dich nicht fragen wollte. Lass uns weitergehen.“ Und sie gehen beide weiterdes Weges. Dann kommen sie und sehen einen jungen Knaben, vielleicht 5 oder 6 Jahre alt. Da geht der Knecht hin und tötet den Knaben. Da schreit Moses auf: „Was tötest du ein unschuldiges Kind. Das darf doch nicht wahr sein, das ist eine große Bosheit, die du tust, dass du ein unschuldiges Kind ohne dass es etwas getan hat getötet hast.“ Da sprach der Knecht: „Habe ich dir nicht gesagt, dass du nicht die Geduld haben wirst.“ Moses sprach: „Ich verspreche dir, wenn ich noch ein drittes Mal den Mund öffne, sind wir getrennte Leute und es soll dich keine Schuld treffen.“ Und sie gehen weiter gemeinsam des Weges und kamen in eine Stadt. In dieser Stadt baten sie um etwas zu essen, aber die Leute lehnten Sie ab.Sie gaben ihnen nichts zu essen und zu trinken. Sie waren unfreundlich. In der Stadt war aber eine Mauer, die eingefallen war. Daraufhin ging der Knecht Gottes hin und baute die Mauer auf. Da sagte Moses: „Ich versteh dich nicht. Du baust hier, bei diesen unfreundlichen Leuten, die Mauer wieder auf? Das kann doch nicht wahr sein, was soll das?“ So sagte der Knecht: „Jetzt sind wir geschiedene Leute. Das dritte Mal hast du gesprochen, obwohl du schweigen wolltest. Du gehst deinen Weg, ich gehe meinen Weg. Aber ichwerde dir erkläre, was passiert ist. Als wir zu dem Schiff kamen, habe ich das Schiff gesenkt, weil ein König hinterher kam und jedes heile Schiff beschlagnahmte. Indem ich das Schiff kaputt machte, habe ich den Leuten ihnen ihr Schiff erhalten. Den Knaben, aber habe ich umgebracht, weil dieser Knabe böse werden wird und seinen frommen Eltern ein schweres Los sein wird, so haben wir ihn getötet, so dass sie bei dem nächsten Kind, Glück und Freude für ein frommes Kind bekommen. Bei dem dritten haben wir die Mauer wieder erbaut, weil unter der Mauer ein Schatz liegt und die zwei Knaben, denen diese Mauer gehört, sollen diesen Schatz aber erst finden, wenn sie volljährig sind. Deswegen haben wir die Mauer jetzt aufgebaut. Das ist die Deutung und das was ich getan habe, habe nicht aus mir heraus getan, sondern aus einer Weisheit und Barmherzigkeit Gottes.“
Die Geschichte steht in der Sure 18. Eine ziemlich ausführliche Geschichte, die uns viel erzählt, wie man mit dem Schicksal, mit seinem eigenen Schicksal und den Interpretation seines Lebens umgehen soll. Das birgt diese Geschichte hier als Erfahrungsschatz. Sie sollen nachher mit dieser Geschichte arbeiten.Ich gebe Ihnen den Text und sie sollen selber schauen,was für Erfahrungspotential in dieser Geschichtevorhanden ist. Ein paar Dinge möchte ich aber andeuten. Ein Punkt ist, in dieser Geschichte wird ein Lehrer-Schüler-Verhältnis erzählt. Das Interessante ist, dass hier Musa (as) zunächst einmal erkennen muss, dass er nicht der Schlauste ist. Wenn man schon alles weiß, braucht man keine Lehrer mehr. Erst in dem Moment, in dem man erkennt, dass man einen Lehrer braucht oder lernbedürftig ist, kann man wieder anfangen zu lernen. Das heißt Musa (as) hat sich auf den Weg gemacht und hat seinen Lehrer gesucht. Ein anderes Verhältnis als hier bei uns. Unsere Kinder müssen in die Schule gehen, jeden Morgen um acht Uhr, auch wenn sie gerade müde sind. Sie werden zwangsweise zum Lernen bewegt. In der Geschichte muss sich Musa (as) aufmachen. Das zweite ist, das Lernen wird hier formuliert, als ein Lehrer-Schüler Verhältnis, was man nicht als Vortrag hält, wie Sie es kennen, Sie sitzen und schweigen und ich rede.Aber das ist eigentlich nicht lernen. Lehrer-Schüler-Verhältnisse so wie Musa (as) und der Knecht haben, sind lehrreich. Sie gehen gemeinsam den Lebensweg und der Lebensweg wird zur Schule, nicht die Schulbank.
Entscheidend aber indem Text ist ein Wort, was ständig wiederholt wird. Ich kann zwar kein Arabisch aber ich kann die Gottesnamen und ein Name, der immer kommt ist Sabr. Das heißt die Geduld. Dieses Wort heißt nicht nur Geduld, sondern auch etwas wie Standhaftigkeit, das bedeutet etwas auszuhalten, dass auch, wenn ich etwas nicht sofort nicht verstehe trotzdem die Spannung halte. Das ist ein interessanter Gedanke, den es übrigens im Alten Testament ähnlich über Moses erzählt gibt, nur in kleiner Variation. Ich möchte es an dieser Stelle erzählen, weil es sehr gut auch die Geschichte im Quran illustriert. Es gibt auch im Alten Testament eine Frage, dass Moses bittet Gott sehen zu dürfen. Daraufhin sagt Gott zu ihm:„Du darfst mich nicht von Angesicht zu Angesicht sehen, sondern ich stelle dich in eine Höhle und werde an dir vorbeigehen.“ Moses steht in der Höhle und Gott hält ihm die Augen zu und geht an Ihm vorüber. Dann zieht er die Hand wieder Weg und Moses kann ihn von Hinten sehen. Die Geschichte erzählt, dass man die Spuren Gottes nur im Nachhinein erkennt. Gott kann man nicht von vorneherein erkennen. Man kann nicht sagen in der Situation hat Gott mir geholfen, sondern erst im Nachhinein, wenn die Biographie schon weiter gelaufen ist, erkennt man die wunderbare Spur Gottes. Das ist sozusagen die Geschichte, wie sie in der Bibel steht und das ist auch die Idee von dieser Geschichte, wobei oft gesagt wird, dass der Knecht Gottes Chidhr sei. Diese Geschichte des Grünen, der vor allem im Sufismus eine besondere Rolle spielt, als der ewig lebende Lehrer, der Begrünende, der immer wieder das Leben begrünt und das Leben auch leben lässt.In dem Moment, in dem du in der Situation steckst wirst du nicht verstehen, warum es gerade so passiert und Moses stolpert ständig über diese Falle. Wenn ich jemanden sehe, der ein Schiff kaputt macht, sage ich Sachbeschädigung, Gefängnis. Jemand bringt ein Kind um, Meuchelmörder, mehr als Gefängnis und als drittes, etwas Absurdes, er macht etwas Positives bei Leuten, die eigentlich negativ sind. Was dieser Diener tut ist ständig absurd und löst in Moses die Herausforderung aus, „Was soll das? Das ist ungerecht, das ist unverschämt.“ Wir erleben in unserem Leben das, was in der Biographie passiert und beurteilen dementsprechend. Warum lässt Gott zu, dass genau das passiert? Diese Geschichte lädt ein, geduldig zu sein und abzuwarten, was sich aus der Situation ergeben wird. Morgen, nächste Woche, 5 Jahre, 10 Jahre, vielleicht erkennt man erst dann im Nachhinein, dass die Sache, die ich als ungerecht empfunden, genau die Barmherzigkeit Gottes war. Das ist die Message der Geschichte. Jetzt habe ich Ihnen versucht aus dem Text Information, hier wieder ein Erfahrungspotenzial herauszuholen was 600 n.Chr. entstanden ist. Die Frage ist, was können wir mit dieser Geschichte im Jahr 2017 machen? Sie ist sozusagen für uns konserviert als Geschenkpaket, die ganz kostbare Urerfahrung. Und die sollen wir jetzt auspacken für die Kinder. Und das müssen wir lernen als Lehrer und Lehrende, diese Geschenke auszupacken und zu verstehen, was für Erfahrungspotenzial in den Geschenkpaketen drin ist. Sei es ein Ritual, sei es eine Geschichte Muhammads (saw) oder eine Geschichte aus dem Quran, diese müssen wir dann mit den Erfahrungen unserer Kinder oder Jugendlichen oder Erwachsenen in Kommunikation bringen. Das werden wir im nächsten Schritt machen. Jetzt sind sie dran, ich werde Ihnen den Text geben und Sie sollen wieder in diesen Gruppen – jetzt geht es weniger um den Kindergarten – sondern es geht einfach nur noch darum für sich zu versuchen das Erfahrungspotenzial dieses Textes zu sehen. Nicht gleich auf die Kinder anwenden, sondern versuchen Sie erst mal,das Erfahrungspotenzial des Textes zu erkennen.
Nach der Gruppenarbeit.
Prof. Dr. Zweigle:
Das Schreibgespräch ist eine Methode, bei dem Plakate an die Wand geheftet werden, auf dem eine Frage steht. Auf unseren Text bezogen, könnte man in Anlehnung an Sure 18,60 etwa die Frage schreiben: „Für welches Wissen würdest du Jahre lang wandern?“ Die Lerngruppe wird in Kleingruppen aufgeteilt und jeder Gruppe wird ein Plakat zugeordnet. Nun beginnen die jeweiligen Gruppen ein stilles Gespräch, indem Sie ihre Gedanken nacheinander auf das Plakat schreiben und somit miteinander ins Gespräch kommen. Nach einiger Zeit gibt man das Gespräch frei und jeder kann zu jedem Plakat gehen und seine Gedanken aufschreiben. Im Hintergrund läuft dabei schöne Musik. Sie schreiben auf, was ihnen zu dieser Frage einfällt, deswegen finde ich Wandern ganz gut. Dann liest man das, was die anderen geschrieben haben, manche diskutieren hier, andere da. Jeder hat einen Stift in der Hand, man hat vier Stellen wo man was aufschreiben kann. Haben Sie die Methode verstanden?
Teilnehmer 10:
Schreibt man stichpunktartig auf die Plakate?
Prof. Dr. Zweigle:
Man schreibt diese Frage auf. Auf jedem Plakat steht eine Frage, „Für welches Wissen würdest du Jahre lang wandern?“ Dann fangen die Kinder an zu schreiben und beginnen ein Gespräch, dann können Sie zum nächsten Plakat und da das Gespräch still weiterführen. Man führt vier Dialoge im Stillen und beantwortet dieselbe Frage. Das wäre die Methode.
Teilnehmer 1:
Die Voraussetzung ist, dass die Kinder schreiben können, das heißt ab der 3. Klasse?
Prof. Dr. Zweigle:
Eher ab der vierten.
Teilnehmer 5:
Meine Frage ist, was bringt das denn? Die Kinder schreiben das auf.
Prof. Dr. Zweigle:
Das Gute an dem stillen Schreibgespräch, an der Methode ist, dass es verlangsamt stattfindet, dass im Prinzip viermal diegleiche Frage beantwortet wird. Es ist eine Form der Vertiefung des Nachdenkens. Ich antworte nicht einfach, wie bei einer Diskussion und fertig, sondern ich mache es ganz langsam, ich lese, was andere darüber denken. Das Ziel ist zu irritieren, weil ich Lernen in dem Moment verstehe. Ich brauche nicht lange Jahre lang wandern, um lernen zu können. Ich muss jeden Morgen aufstehen, um zur Schule zu gehen. Also es ist das Umkehren des Lernbegriffes, damit ich erkenne, dass das Leben vielleicht etwas an Schätzen beinhaltet für die man wandern muss.
Teilnehmer 5:
Wir haben das schon in unserer Schule ausprobiert, wir haben Fragen wie „Was ist für euch lernen?“ aufgegriffen, nicht mit Plakaten, aber mit anderen Symbolen, aber es bringt nichts, weil die Kinder vergessen das, die werfen es ab..
Prof. Dr. Zweigle:
Was ist für euch lernen ist zu trocken. Die Intension ist mit der Geschichte zusammen, der Gedanke, dass ich Jahre lang wandern muss.Das Symbol „ich wandere Jahre lang um wissen zu bekommen“, Das ist der Überraschungseffekt. Probieren Sie es aus, mit der einen Klasse funktioniert es, mit der anderen nicht. Es ist ein Methodenvorschlag.
Teilnehmer 5:
Ich meine, was ist das Ziel, dass wir die Kinder irritieren?
Prof. Dr. Zweigle:
Dass Wissen als etwas Kostbares entdeckt wird, für das ich mich aufmache und einen Weg gehe, verstehen Sie? „Der Weg ist das Ziel.“, das heißt ich muss mich wieder in Bewegung setzen, ich muss losgehen.
Teilnehmer 1:
Meine Erkenntnis aus der Praxis ist, es funktioniert auch nicht so, weil die Kinder eigentlich, wenn sie in der Schule sind oder am Schreiben sind, keine Lust mehr haben zu schreiben. Eigentlich müsste man einen Handwerkskofferan die Hand kriegen, wo man sagt damit kann man das machen, damit kriegt man die Kinder. Es gibt auch Schulen, an denen man sagt ‚Schreiben ist gut, wenn man das macht, dann kann man schreiben‘, aber in die AG des Kreativen Schreibens geht keiner rein.
Prof. Dr. Zweigle:
Sie haben vollkommen Recht, das finde ich auch spannend, aber wir müssen eine lernortspezifische Arbeit machen. Wenn ich natürlich mit Jugendlichen am Nachmittag zusammen bin, mach ich was ganz anderes.
Teilnehmer 1:
Schule ist anders, ich weiß, deswegen frage ich. Ich habe gesagt ab 3. Klasse bis 6. Klasse höchstens, weil es eine Grundschule ist. Inwieweit sind die Schüler bereit von der 3. Bis 6. Klasse sowas anzunehmen.
Prof. Dr. Zweigle:
Probieren Sie es aus. Ich habe im Religionsunterricht solche Schreibarbeiten ganz viel gemacht. Man kann nie sagen, eine Methode funktioniert hundertprozentig. Sie müssen das Gefühl dafür entwickeln, ob Ihre Schüler dieses Medium gut annehmen können. Man kann nie sagen, diese Methode funktioniert in jeder Klasse immer wunderbar. Sondern es ist ein Vorschlag. Die Idee, die didaktisch dahinter steht, ist ein Umdenken des Lernverständnisses. Die didaktische Idee, basiert auf der Geschichte des Quran.
Dr. Pinn:
Was halte Sie davon, dass bei Schulen oder lernmüden Schülern – provokativ formuliert – indem man z. B. diese Frage schreibt und als erste Antwort selber schreibt: Ich würde Jahre lang auf Wanderschaft gehen, um Millionär zu werden oder um Waffenhändler zu werden. Ich denke, dass das vielleicht eine größere Anregung ist.
Prof. Dr. Zweigle:
Auch eine spannende Idee.
Teilnehmer 11:
Just a couple of questions that were mentioned before earlier. I think we have to understand that this method is an indirect method of students to learn. It’s not imposing some of them. It’s allowing them to think they are part in the system which is not compulsive to this. It doesn’t work like the systems in schools. Sometimes it can be awkward but we have to have the sense of patience but we do need to justify for certain year groups. But this is primarily a reflection and critical thinking which is a higher level, order level thinking and I think it needs to be encouraged. The indirect method of teaching Islam is pyramid and what we have been taught over the years and our past is the direct method teaching Islam which is we are going to learn about tawheed, we are going to learn about Islam but remove all this. Don’t impose your things on them. Don’t tell them story of Musa (as) but take abstract subject and they can link it with something because of their natural fitra that they have. But I think it’s not about saying, what’s the point of this, where is this discussion going, I think with any teaching method you have to bring it back to some face that with the learningprocess, but the same time being allowed have no barriers to thinking, it’s scary for some people. And the systems, school system doesn’t allow fears and I think it should be entrained.
Teilnehmer 12:
Sie meinte es ist sehr wichtig, dass man nicht zu sehr in Schubladendenkt und sich keine Grenzen setzt, sondern dass man offen ist und es ist nicht gut immer zu sagen, wozu führt das und was bringt das? Es kommt darauf an, dass Kinder animiert werden zu denken und das in Frage zu stellen.
Teilnehmer 13:
Weiterhin hat sie gesagt, dass es darum geht, die Religion nicht immer direkt beizubringen, was ist Tawheed, die Gotteseinheit, wie betet man, sondern dass man die Religion oder z.B. die Geschichte Musas (as) indirekt beibringt, indem man entscheidende Aspekte herausnimmt. Allgemein ist das auch so, der Beweis ist auch dass hier viele junge Leute sitzen. Der Prozess dazu, dass wir uns überhaupt mit dem Thema auseinandersetzen, wurde in der Schule gelegt, dass man nachdenken soll, dass man sich mit gewissen Dingen kritisch auseinandersetzen soll. Das war nicht immer die eine Stunde, die man gemacht hat, sondern die Masse und die Aneinanderkettung von bestimmten Methoden, die an uns ausgelebt wurden. Das hat uns zu nachdenkenden Menschen geformt, ob mit dem Schreiben, Lesen oder Denken an sichzusammenhängt. Daher, das hat sie auch gesagt, sollte man das Große und Ganze sehen, den Lernprozess an sich.
Prof. Dr. Zweigle:
Ich möchte noch zwei weitere Dinge vorstellen. Das zweite, was ich vorstellen möchte, ist die Idee für die Moschee, die Moscheedidaktik. Ich denke, dass würde am ehesten dorthin passen. Es ist die Idee einer Erfahrungsschatzkiste. Dass was die Geschichte uns erzählt, dass wir heute etwas erleben und die Dinge beurteilen, nachdem wie wir sie heute betrachten. Ich würde die Schüler und Schülerinnen bzw. die Kinder dazu auffordern, aufzuschreiben, was ihnen heute in ihrem Leben – man muss es den anderen nicht vorlesen – Stolpersteine sind. Das kann man auch über den Stein wickeln – Stolpersteine ihres Lebens. Die Kinder können aufschreiben, was sie wollen. Diese Steine werden in eine Schatzkiste gelegt und gemeinsam wird diese Schatzkiste vergraben. Ein halbes Jahr oder ein Jahr, je nachdem wie sehr Geduld Sie mit der Gruppe haben, wird die Schatzkiste wieder ausgegraben. Wenn die Kinder ihre Stolpersteine in die Hand nehmen, müssen sie sehen, was sich aus den Steinen in ihrer Dann-Gegenwart entwickelt hat. Das passt in die Moschee, weil es für mich eine Form von Spiritualität ist, die ich in einer Methode ausdrücke. Darauf zu hoffen und zu erfahren, was aus den Stolpersteinen meines Lebens geworden ist. Es kann auch für Erwachsenenpädagogik angewandt werden.
Ich möchte Ihnen eine weitere Methode für den Kindergarten zeigen. Die Idee, die ich Ihnen vermitteln möchte, ist, dass dieselbe Sache von einem unterschiedlichen Blickwinkel anders aussieht. Wenn ich eine Maus bin, sehen die Dinge anders aus, als wenn ich ein Adler bin. Die Kinder können zwar keine Adler werden, aber sie können Zeichnungen machen, um den Perspektivwechsel zu erkennen. Hier symbolisch mit Maus- und Adlerperspektive, kann man mit den Kindern ein Experiment machen. Ich kann, wenn ich einen Kindergarten habe, wenn es einen Tal gibt und einen Berg oder eine Rutsche, wo man oben oder unten stehen kann, unterschiedliche Orte aufsuchen, um zu schauen, wie es aussieht, wenn ich oben oder unten stehe, das heißt ich den Perspektivwechsel vornehme. Das ist die Grundgeschichte. Moses sieht die Ereignisse nur aus einer verengten Perspektive, aus seiner Logik, aus der Mausperspektive. Und Chidhr denkt in der Adlerlogik, aus der Adlerperspektive. Das kann ich den Kindern nicht erklären, aber ich kann ihnen den Perspektivwechsel zeigen, dass Dinge aus verschiedenen Perspektiven anders aussehen.
Vorstellung anwesender Institutionsmitglieder
MSEN, Muslim School Education Network, leiten Wochenendschulen verteilt über Großbritannien und Schottland seit 50 Jahren und haben bisher 17 Schulen. Wir arbeiten auf verschiedenen Ebenen mit verschiedenen Akteuren. Wir arbeiten mit Lehrern und Eltern. Unsere Hauptabsicht ist ein islamisches Ethos zu entwickeln. Wir versuchen ein Netzwerk zu entwickeln, wo wir gemeinsame Erfahrungen austauschen, uns verbinden und praktische Erfahrungen herzuleiten, die eine Herausforderung darstellen. Wir bereiten auch Trainings vor für Lehrer spirituell und im Beriech von Wissen. Dafür haben wir auch spezielle Programme, die regelmäßigt besucht werden und von Gelehrten ausgebildet werden. Wir stehen vor zwei Herausforderungen, die erste Herausforderung sind die Einflüsse der Gesellschaft auf unsere Kinder. Die zweite ist, welche Fähigkeiten wir den Kindern weitergeben, dass sie das Beste aus sich machen. Wir haben einen Ansatz, der verschiedene Seiten hat. Das erste fokussiert sich auf das Schöne der Religion, dabei auch zu adressieren, die Gefühle, die Kinder haben in Bezug auf Gott. Wir haben diese Probleme adressiert undhaben uns gefragt „Wie können wir Religion anziehbarer machen auf moralischer, rationaler und virtueller Ebene für Kinder?“ Wir müssen die Identität und das Selbstbewusstsein der Kinder zu stärken. Dazu gibt es in England und Schottland verschiedene Veranstaltungen und eine jährliche Veranstaltung versammelt alle Schüler und Studenten aus den ganzen Schulen, um einfach zu zeigen, dass sie etwas können, dass sie wichtig sind und dazugehören.Hauptsache ist ihnen eine Plattform zu bieten, wo sie reden können und wo sie Bestätigung erhalten und ihre Identität gestärkt wird. Wir arbeiten viel mit Geschichte zusammen. Von diesen Geschichten kann man viel lernen auf verschiedenen Ebenen. Die Kinder können dadurch viele Parallelen zu ihrem eigenen Leben ziehen. Durch verschiedene Lehrertreffen entstanden viele Materialien z.B. Bücher, Charaktere usw., durch welche die Schüler nicht direkt, sondern indirekt über die entwickelten Charaktere, lernen. Wir haben ein Forschungsteam, das sich aus verschiedenen Leuten zusammensetzt und diese versuchen in direkter Weise die Probleme zu adressieren, die wir haben in einem säkularen Staat. Das sind Probleme wie z.B. Homosexualität, wo wir in einem säkularen Staat lernen, sehr tolerant zu sein und es zu akzeptieren. Es gab schon ein Workshop, in dem man versucht hat Religion mit Wissenschaft zu verbinden, weil es inzwischen nicht mehr genug ist für die Menschen zu sagen, in der Religion ist das so, akzeptiert das. Man muss nun einen neuen Ansatz finden, wo man diese feinen Sachen miteinander unterbinden kann. Das Ziel der Erziehung und was die Lehrer den Schülern geben sollen. Es ist vor allem wichtig die Fitra zu beschützen, jeder hat eine Fitra, die Innere Veranlagung zur Moralität. Es geht darum diese Moralität zu entwickeln und zu wahren, dass man selbstbewusster Kinder erzieht, die das auch weiterleiten.
Avicenna Campus
10 Jahre lang war es eine Volkschule, mittlerweile ist es ein Campus, welches ein Kindergarten, eine Volkschule und ein Gymnasium beinhaltet. Die Gründer dieser Schule haben dieses Ziel verfolgt, dass sie Frieden schließen zwischen den beiden angesprochenen Rucksäcken. Es ist ein multikulturelles Team, es gibt muslimische Lehrer, es gibt österreichische Lehrer mit unterschiedlichen Religionen. Was uns jedoch vereint alle zusammen ist eine starke Ausrichtung und sehr starkes Bewusstsein für die Werte. Ich bin dort Religionslehrerin von der ersten bis vierten Klasse der Volksschule. Ich habe islamische Religionslehre studiert, aber mit sehr weniger Methodik. Ein Ziel dieser Schule ist ganz klar ein Schutz für Radikalisierung und Extremismus. Voraussetzung dafür sehen wir, dass ein Kind sich akzeptiert fühlt und sich selbst akzeptieren kann, damit es dann ein konstruktiver Teil der Gesellschaft werden kann.
Quranschule Bochum:
Wir haben in Bochum aus eigenem Antrieb vor etwa zehn Jahren die Quranschule gegründet. Damit begonnen haben wir mit unseren eigenen Kindern, das heißt unsere eigenen Kinder waren der Antriebsgrund zur Gründung. Mittlerweile haben wir über 50 Kinder im Alter von 2-22 Jahren, die wir betreuen in der Ahlu-l-bait Moschee. Unsere Grundlage für unsere Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist die Beziehungsebene. Die Zuneigung, Akzeptanz, Empathie, Aufrichtigkeit und Aufmerksamkeit sind die wichtigsten Aspekte. Die Kinder, die zu uns kommen müssen uns mögen und wir sie und dafür müssen wir die Grundlage schaffen. Wir verbinden viel mit Theorie und Praxis. Wir setzen Themen praktisch um. Im Laufe der Jahre haben wir gemerkt, wir müssen unseren Unterricht neu strukturieren und neu modifizieren. Immer wieder nach Wegen suchen, wie können wir effizient und nachhaltig arbeiten, damit die Kinder gerne kommen. Mittlerweile haben wir Klassen geschaffen, die im Religionsunterricht nach Alter gehen und im Quranunterricht nach Fähigkeiten.
Jafariya Schule München:
Wir sind eine Anlaufstelle für schiitische Kinder der jafaritischen Rechtschule. Wir sind ein Team aus relativ vielen Kulturen und Ländern. Unsere Lehrerschaft kommt aus verschiedenen Bereichen, unter anderem Studenten, Schüler oder auch Sozialpädagogen. Wir versuchen uns monatlich zusammenzusetzen, Erfahrungen und Ideen zusammenzustellen und nach Lösungen zu schauen. Diese Schule ist relativ jung. Das Problem in München ist, dass wir sehr wenige Anlaufstellen haben, im Gegensatz zu z.B. Berlin oder Wien. Darin besteht auch die Herausforderung. Wir sind eine vierstündige Samstagsschule und es ist schwer in diesen vier Stunden das Interesse der Kinder zu wecken, dass sie die kommende Woche wieder kommen wollen. Wir haben Klassen und unterrichten Geschichte, Fiqh, Akhlaq und Quran auf Persisch und Arabisch.