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Von Allem und vom Einen – Georg Wilhelm Friedrich Hegel über Maulānā Ğalāl ad-Dīn Rūmi

Von Allem und vom Einen
Georg Wilhelm Friedrich Hegel über Maulānā Ğalāl ad-Dīn Rūmi

Roland Pietsch[1]

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831)[2], ohne Zweifel der größte Philosoph des 19. Jahrhundert und weit darüber hinaus, hat in einer Zeit, in der die Philosophie ihre Stellung als Wissenschaft der Wissenschaften schon lange verloren hatte, einen der letzten großen Entwürfe vorgelegt, um die Philosophie als Wissenschaft neu begründen zu können. Dieser Entwurf umfasst nahezu alle Wissens- und Lebensebenen und ist von einer solchen universalen Weite, dass auch andere Kulturen in sie einbezogen und gewürdigt werden konnten. Der Philosophie Hegels liegt „eine echte innere Erfahrung zugrunde, die ihm dasjenige erschloß und zur Evidenz brachte, was er behauptete und ihm die Wahrheit des Behaupteten bestätigte. Diese innere Erfahrung muß jeder, der sich zu dem von Hegel gemeinten Sachverhalt wirklich durchringen und ihn gegenständlich einsehen will, selbständig durchdenken. Niemand kann uns diese Erfahrung von außen her vermitteln und uns die Mühe des entsprechenden Denkaktes sparen… Hegels Philosophie, wie jede echte und tiefe Philosophie, ist mit bloßem Denken durchaus nicht zu verstehen; daran muß sich die innere Erfahrung in ihrem vollen Umfange beteiligen, ganz aber die schöpferische Einbildung“[3]. Diese innere Erfahrung und schöpferische Einbildung zeigt sich schon in Hegels Jugendgedicht „Eleusis“, das er seinem Freund Friedrich Hölderlin im August 1796 gewidmet hat. In diesem Gedicht, das Karl Rosenkranz 1843 aus dem Nachlass Hegels veröffentlicht hat[4], heißt es:

Mein Aug erhebt sich zu des ewigen Himmels Wölbung,

zu dir, o glänzendes Gestirn der Nacht,

und aller Wünsche, aller Hoffnungen

Vergessen strömt aus deiner Ewigkeit herab,

der Sinn verliert sich in dem Anschaun,

was mein ich nannte schwindet,

ich gebe mich dem Unermeßlichen dahin,

ich bin in ihm, bin alles, bin nur es[5].

Diese All-Eins-Erfahrung, die Hegels späteres Werk durchzieht, hat ihn befähigt, unter anderem auch die persische Mystik von Maulānā Ğalāl ad-Dīn Muḥammad Rūmi (1207-1273) zu verstehen. Bevor diese tiefgehende philosophische und kulturübergreifende Rezeption im Einzelnen genauer betrachtet und untersucht wird, werden zunächst einige Grundzüge von Hegels Philosophie, kurz aufgezeigt.

  1. Einführung in die Grundzüge der Philosophie Hegels

Hegel hat mit seiner gewaltigen Denkkraft die von Kant vorgenommene Begrenzung der menschlichen Erkenntnisfähigkeiten aufgehoben und damit den Weg freigemacht für eine allumfassende Erkenntnis der Wahrheit. In seinem berühmten Vorwort zur Phänomenologie des Geistes sagt Hegel über die Wahrheit oder das Wahre: „Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendete Wesen“[6]. In diesem Sinn ist das Wahre „das Werden seiner selbst, der Kreis, der sein Ende als seinen Zweck voraussetzt und zum Anfange hat und nur durch die Ausführung und sein Ende wirklich ist.“[7], das heißt im Kreis verwirklicht und vollendet sich das Ganze. Dementsprechend stellt sich auch die ganze Philosophie als ein in sich geschlungener Kreis dar, „dessen Anfang, den einfachen Grund, die Vermittlung das Ende zurückschlingt; dabei ist dieser Kreis ein Kreis von Kreisen; denn jedes einzelne Glied, als Beseeltes der Methode, ist die Reflexion-in-sich, die, indem sie in den Anfang zurückkehrt, zugleich der Anfang eines neuen Gliedes ist“[8]. Und in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften erklärt Hegel weiter: „Jeder der Teile der Philosophie ist ein philosophisches Ganzes, ein sich in sich selbst schließender Kreis, aber die philosophische Idee ist darin in einer besonderen Bestimmtheit oder Elemente. Der einzelne Kreis durchbricht darum, weil er in sich Totalität ist, auch die Schranke seines Elements und begründet eine weitere Sphäre; das Ganze stellt sich daher als ein Kreis von Kreisen dar, deren jeder ein notwendiges Moment ist, so daß das System ihrer eigentümlichen Elemente die ganze Idee ausmacht, die ebenso in jedem einzelnen erscheint“[9]. Damit kann Hegels Denkform eindeutig als ein Kreis von Kreisen verstanden werden. Aus dieser Denkform ergibt sich sein System. Mit „System“ wird die dreifach gegliederte Gesamtdarstellung der Philosophie Hegels bezeichnet, die er in seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften vorgelegt hat. Diese Gesamtheit leitet er aus einem einheitlichen methodischen Prinzip ab, das er „philosophischen Begriff“ nennt. Das Wesen dieses Begriffs hat er in der Rechtsphilosophie auf folgende Weise kurz beschrieben: „Göttlicher Rhythmus der Welt und Methode des absoluten Erkennens – ein für allemal bemerkt – man hat damit eine große Kenntnis vor der Hand gewonnen[10]. Damit deutet Hegel an, dass sich seine Philosophie auf das Reich des reinen Gedankens bezieht: „dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie ohne Hülle an und für sich selbst ist. Man kann sich deswegen ausdrücken, daß dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist“[11].

Quelle: SPEKTRUM IRAN 35. Jahrgang 2022, Heft 1/2

http://spektrum.irankultur.com/wp-content/uploads/2022/06/Von-Allem-und-vom-Einen.pdf

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[1]. Maximilian Universität München, E-Mail: roland.pietsch@t-online.de.

[2]. Die Werke Hegels werden zitiert nach: Hegels Werke in 20 Bänden, Theorie Werkausgabe, hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt am Main 1970 ff., Suhrkamp. Im Folgenden abgekürzt: Hegel, TW.

[3]. Ivan A. Il’in, Filosofija o Gegelja kak učenie o konkretnosti Boga i čeloveka, 2 Bde., Moskau 1918, Verlag Leman i Sacharov. Nachdruck Moskau 2002, Russkaja Kniga. Eine leicht verkürzte deutsche Übersetzung: Iwan Iljin, Die Philosophie Hegels als kontemplative Gotteslehre, Bern 1946, S. 48, A. Francke AG. Verlag, Abgekürzt: Iljin, Hegel.

[4]. K. Rosenkranz, Aus Hegels Leben, in: R. E. Prutz (Hrsg.), Literaturhistorisches Taschenbuch, Bd. 1, Leipzig 1834, S. 94-102.

[5]. Hegel, Eleusis, in: Dokumente zu Hegels Entwicklung, hrsg. von Johannes Hoffmeister, Stuttgart 1936, S. 381, Fromann.

[6]. Hegel, TW, Bd. 3, S. 24.

[7]. Hegel, TW, Bd. 3, S. 23,

[8]. Hegel, TW, Bd. 6, S. 671 f.

[9]. Hegel, TW, B. 8, S. 60.

[10]. Hegel, TW, Bd. 7, S. 56.

[11]. Hegel, TW, Bd. 5, S. 44.

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