Von Tobias Müller. Ich glaube, meine Neugierde auf die persische Küche wurde erstmals so richtig vom Fettschwanzschaf geweckt. Das Tier ist mir erstmals vor ein paar Jahren im legendären Kochbuch „Fat“ untergekommen, und ich war sofort fasziniert. Fettschwanzschafe, habe ich seither gelernt, sind so gezüchtet, dass sie den Großteil ihres Körperfetts in ihren Schwänzen speichern (ähnlich wie Kamele mit ihren Höckern). Sie gehören zu den ältesten bekannten Schafarten, und ihr Fett war seit alters her für die persischen Küche das, was für Europa das Schweineschmalz beziehungsweise die Butter ist.
Leider habe ich es immer noch nicht geschafft, in den Iran zu fahren. Dafür hat sich mir die zweitbeste Möglichkeit eröffnet, der persischen Küche ein wenig näherzukommen: Ich durfte einen Abend mit Bert Fragner und seiner Frau Christl kochen. Der Herr Fragner ist der Doyen der europäischen Iran-Forschung, er und seine Frau sind hervorragende Köche und außerdem liebe Freunde der verehrten Gudrun Harrer, die diesen Abend eingefädelt und begleitet hat (Danke dafür!).
Wir haben uns zwar nicht direkt dem Fettschwanzschaf gewidmet (erstens ist das bei uns selten, und zweitens ist auch im Iran mittlerweile Butterschmalz oder gar pflanzliches Fett üblicher), dafür aber einem anderen Grundpfeiler persischer Kochkultur: Tschelou, weißem Reis.
Das mag nach nicht viel klingen, tatsächlich ist seine richtige Zubereitung aber eine hohe Kunst. Anders als in Asien, wo Reis eine Sättigungsbeilage ist, galt er im Iran immer schon als Hauptakt, als Star unter den Gerichten, und auch die Ansprüche an ihn sind ganz andere. Iraner lieben langkörnigen Reis, nicht die kurze, klebrige Variante der Chinesen. Sein betörend-floraler Duft muss bereits während des Kochens die Küche füllen. Gegart soll er einerseits so leicht und trocken sein, dass er „davonweht, wenn man in den Haufen bläst“ (Bert Fragner), andererseits soll sich unten im Topf eine güldene, herrlich knusprige Reiskruste bilden, die einen süchtigmachenden Kontrast zur sonst so luftigen Konsistenz bildet. Sie ist so beliebt, dass sie einen eigenen Namen hat: „Tah-dig“, wörtlich „Topfboden“.
Kostbarer Reis
Werden noch zusätzlich Fleisch, Gemüse, Gewürze und Kräuter mit dem Reis in den Dämpftopf geschichtet, heißt das Ergebnis Polou (der Ursprung des türkischen Pilav). Der Reis saugt sich mit all den köstlichen Aromen und Säften voll und wird zu einem prächtig-üppigen Festmahl.
Der Herr Fragner hat es sich nicht nehmen lassen, zwei Reise zu machen, Tschelou und Polou mit Lammstelzen, Saubohnen, Dill und Kurkuma. Beide waren ganz köstlich: der Tschelou puristisch perfekt, der Polou auch optisch spektakulär – auf einem Silbertablett gehäuft und mit Lammstelzen dekoriert, wird er zu einem prächtigen, vielfarbigen, überbordenden Gericht, das einen köstlichen Duft von Reis und Fleisch, nach Großzügigkeit, Gastfreundschaft und Überfluss verströmt.
Dass Reis in der persischen Küche so hoch geschätzt wird, hat auch mit seiner Geschichte zu tun: Zwar vermutet der Herr Fragner, dass die Perser das Reisessen über die Mongolen von den Chinesen gelernt haben, den Reis selber aber haben sie über Jahrhunderte aus Indien importiert. Anders als in China ist er daher in Persien stets eine teure Luxuszutat geblieben: Wer es sich leisten konnte, aß noblen Reis, das niedrige Volk blieb beim günstigen Weizen.
Erst im sehr späten 19. Jahrhundert gelang es den Iranern, Sorten zu züchten, die im Norden des Landes, an der Küste des Kaspischen Meeres, gediehen. Die berühmtesten, Sadri, Anbar-bu und Dom-siyâh, gelten als eine Art Nationalheiligtum. Sie sind so begehrt, dass sie außerhalb des Iran kaum zu bekommen sind – sie unterliegen strengen Exportbeschränkungen, werden Ausreisenden von iranischen Zollbeamten gern abgenommen und sind daher Quell endloser Expat-Nostalgie.
Wir haben für unseren Reisabend indischen Basmati von einem iranischen Geschäft im zehnten Bezirk verkocht, in dem der Herr Fragner gern und regelmäßig einkauft. Die Menschen hinter dieser Website versprechen aber, für gutes Geld echten Sadri zu liefern.
Tschelou und Polou nach Ostâd Nurollâh und Bert Fragner
Tschelou und Polou werden traditionell nach einem Ritual zubereitet, das erstmals im späten 16. Jahrhundert im Kochbuch des Ostâd Nurollâh, Koch am Hof der Safawiden-Könige, auftaucht: Der Reis wird erst gewaschen, dann abgetropft, kurz in sprudelndem Wasser gekocht und schließlich sanft fertiggedämpft und gebraten. Der Herr Fragner hat diese Prozedur um einen kleinen Trick erweitert, der verhindern soll, dass der Reis am Topfboden anbrennt.
Achtung: Tschelou und Polou sind Gerichte, die mit einem Elektroofen oder Induktionsherd deutlich leichter gelingen als auf Gas.
Machen Sie mindestens genug für vier Personen. Sie brauchen:
- Reis
- Fettschwanzschafsschwanzfett oder Butterschmalz
- Safran
- Zucker
Optional:
- Fleisch von einer oder zwei geschmorten Lammstelzen
- frische Saubohnen
- Dill
- Kurkuma
- drei, vier weitere geschmorte Lammstelzen zum Garnieren
Zunächst wird der Reis gewaschen, um möglichst viel Stärke von den Körnern zu spülen. Dafür den Reis am besten in einen Topf geben, diesen in der Abwasch mit Wasser füllen, gut durchrühren und durch ein Sieb abgießen. Wiederholen, bis das Wasser fast klar läuft. Den Reis ins Sieb geben und gut abtropfen lassen.
Einen großen Topf Salzwasser zum Kochen bringen. Den Reis ins kochende Wasser werfen, wieder zum Kochen bringen und sprudelnd kochen lassen, bis er bissfest ist, etwa fünf bis sechs Minuten.
Spätestens jetzt sollte sich die Küche mit dem köstlichen Duft des Langkornreises füllen. Abseihen und erneut abtropfen lassen.
Eine kräftige Prise Safran zusammen mit ein, zwei Teelöffeln Zucker im Mörser mahlen. In einer kleinen Tasse oder Schüssel mit einem ordentlichen Schuss Wasser mischen.
Nun den Topf, in dem der Reis dämpfen soll, auf ein Backpapier stellen und mit einem Bleistift rundum einen Kreis ziehen und diesen Kreis ausschneiden.
In dem Topf nun das Fett Ihrer Wahl schmelzen. Wir haben eine Mischung aus Butterschmalz und ausgelassenem Lammfett vom Lammbauch verwendet. Auf kleinste Flamme drehen. Den zuvor ausgeschnittenen Backpapierkreis hineinlegen und den Reis darauf schichten.
Falls Sie nicht nur Tschelou machen, sondern Polou: jetzt die Zutaten abwechselnd mit einer Lage Reis zugeben. In unserem Fall hieß das: Reis, dann Lamm, Dille, Bohnen, Kurkuma. Wiederholen, bis der Topf voll beziehungsweise der Reis aufgebraucht ist.
Die Tasse beziehungsweise die Schüssel mit der Safran-Zucker-Wasser-Mischung in die Mitte des Reisbergs stellen.
Mit einem Kochlöffelstiel oder Ähnlichem rundherum mehrere Kamine in den Reis stechen. Den Deckel des Topfes mit einem Geschirrtuch umwickeln und auf den Topf legen. Auf ganz kleine Flamme schalten, sodass der Reis sanft seiner knusprig-fluffigen Perfektion entgegendämpft, etwa 20 Minuten.
Aus dem Topf auf einen schönen Teller oder eine Servierplatte kippen, das Safranwasser darüber gießen und eventuell mit gebratenen Lammstelzen garnieren.
Am besten mit zart restsüßem Riesling (perfekt zu Safran) genießen. (Tobias Müller, 29.12.2019)
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