Felix Bachmann | Siehst du die Stadt, wie sie da drüben ruht, Sich flüsternd schmieget in das Kleid der Nacht?“
Mit diesen beiden Versen lässt Hugo von Hofmannsthal im Jahr 1890 sein Gedicht Siehst du die Stadt beginnen. Es beschreibt, durch wahrnehmbare Eindrücke und Metapher, die Faszination, Rätselhaftigkeit und Mystik, welche die nächtliche Beobachtung einer Stadt erzeugt. Die Nacht hatte schon immer eine besondere Wirkung auf den Menschen.[2] Die Sterne und der Mond waren Fixpunkte für das Weltbild aller Kulturen. Das trifft auch für die Siedlungen der Menschen zu, die über Jahrtausende eine Vielzahl an Formen annahmen. In ihnen konzentrierten sich Handel, Kultur, politische Macht und führten mit zunehmender Urbanität für eine soziale Binnendifferenzierung der dort ansässigen Gesellschaft. Im 18. und 19. Jahrhundert sorgte die Industrialisierung und der damit verbundene technologische Fortschritt in vielen Regionen Europas für eine tiefgreifende Änderung der menschlichen Lebensbedingungen. Die Leistungen der Ingenieure, in Form der Dampfkraft, Elektrizität oder auch dem Baumaterial Stahl als Grundlage des Eisenbahnverkehrs hatten eine noch nie dagewesene Beschleunigung des Lebens zur Folge. Dies führte zu einem neuem Zeitalter der Urbanisierung, die in der Entstehung von Metropolen ab 1890 mündete. Die Stadt wurde im 19. Jahrhundert ein Symbol des Fortschritts und entwickelte eine ganz eigene Faszination, die sich auch in Kunst und Kultur wiederspiegelte.
Es ist wenig verwunderlich, dass Reisende in ihren Berichten Städte beschreiben, die sie passierten oder in denen sie verweilten. Im 19. Jahrhundert ist das Besondere aber die zunehmend industrialisierte Welt aus der die Reisenden kommen und auch die Schnelligkeit in der man durch den Fortschritt im Transportwesen in relativ kurzer Zeit aus Europa nach Asien, in die Welt des von uns so bezeichneten Orients, gelangen konnte. Natürlich besteht ein Unterschied darin, ob man in der ersten oder der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts reiste. Trotzdem ist in beiden Hälften dieses Jahrhunderts der technische Fortschritt für alle zu spüren, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen.[3] Was aber allen Reisenden im 19. Jahrhundert gemein ist, ist eine noch weitgehende Unkenntnis der orientalischen Lebenswelt. Zwar existierte eine Vielzahl an Publikationen, insbesondere in Form von Reiseberichten, allerdings mangelte es weiterhin noch an objektiven Berichten. Die unterschiedlichen Interessen der Autoren, die z.B. als Pilger, Gesandte, Missionare, Naturforscher oder Händler den Orient bereisten, ließen teilweise jahrhundertealte Stereotype, Mythen und Bilder nicht an ihrer Lebendigkeit verlieren. Man muss konstatieren, dass nüchterne Reiseberichte, wie Carsten Niebuhrs (1733-1815) Werke, nämlich die Beschreibung von Arabien aus dem Jahr 1772, die zwei Bände der Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern (1774-1778) und dessen posthum 1837 erschienener dritter Band Reisen durch Syrien und Palästina zwar europäische Bedeutung erlangten, aber vor allem einer gebildeten Elite mit wissenschaftlichem Interesse am Orient ansprachen.[4] Zudem stehen besonders in den vielen Reiseberichten von Pilgern Beschreibungen von Städten nicht im Vordergrund. Diese konzentrieren sich auf heilige Stätten und deren religiös-theologische Einordnung. Das hatte zur Folge, dass die Reisenden sich mit einer bestimmten Erwartungshaltung auf die Reise machten. Diese wurde maßgeblich auch von den populären Erzählungen von „Tausend und einer Nacht“ geprägt, deren erhältliche Übersetzungen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zwar nicht werkgetreu waren, aber trotzdem eine verklärende Wirkung hatten. Insofern divergierten auch die Vorstellungen von orientalischen Städten mit der Realität.
Quelle: Speektrum Iran 1-2021
http://spektrum.irankultur.com/?p=3425&lang=de#more-3425
[1] Lehrbeauftragter für DaF/DaZ an der MLU Halle-Wittenberg, E-mail: felix.bachmann@student.uni-halle.de
[2] Im 19. Jahrhundert spielte die nächtliche Illumination einer Stadt für die Menschen auch eine wichtige Rolle in der stadtplanerischen Realität. Die Stadt sollte dabei komplett erstrahlen: „Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hält man die vollständige Beleuchtung einer Stadt für ein erstrebenswertes Unterfangen. Man verspricht sich daraus Sicherheit und Transparenz.“ Müller 2012, S. 211.
[3] In den deutschen Gebieten bot zum Beispiel die Schnellpost eine Verbesserung, welche ab dem Ende der 1820er Jahre auf einem Netz von künstlich angelegten Straßen, schnellere Reisen ermöglichte. An einem Tag konnten teilweise mehr als 100 km zurückgelegt werden. Zudem erhöhte sich durch die besser ausgestatteten Schnellpostwagen der Komfort. Die Konkurrenz zur Eisenbahn sorgte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts für mehr Pünktlichkeit. Vgl. Fikentscher 2019. S. 29 f.
[4] Vgl. Rapp 2016, S. 89.