Der Frühling lässt sich von niemandem aufhalten. Er durchstreift die Landschaft, Städte und Dörfer und bemalt alles grün und bunt. Wir wollen ihn begleiten und zusammen mit ihm das Lied der Harmonie anstimmen.
Öffne das Fenster und lass den schönen Duft des Frühlings hereinkommen. Sieh die Schwalben aus dem Winterquartier heimkehren und hör dem Lied der Vögel zu. Die Quellen beginnen wieder zu sprudeln und die Natur hat ihr buntes Gewand angelegt. Die Bäume wachen aus einem tiefen Schlaf auf. Der Frühling bringt ihnen neues Leben. Er bringt Frohsinn. Atmen wir tief durch, um die Frühlingsluft in uns aufzunehmen. Es ist Nouruz-Zeit. Das neue Jahr hat begonnen!
An der festlich gedeckten Nouruz-Tafel beten wir zu Gott und bitten ihn darum, dass er uns dabei hilft, den besten aller Zustände zu erreichen:
„O du Verwandler der Herzen und Blicke! O du der du regelst Tag und Nacht.
O du der du die Jahre wechselst und die Herzen und Befindlichkeiten veränderst
verwandle den Zustände unserer Herzen in den besten aller Zustände!“
Wir bitten Gott zu Beginn des Jahres um den besten aller Zustände. Was kann der Mensch tun, um diesen Zustand zu erreichen und sich zu vervollkommnen?
Die Antwort finden wir in der Natur. Schauen wir doch der Natur im Frühling zu, wie sie sich aus der Kälte und Dürre neu erhebt und ihre Blumen und Blüten und all das Grün ausbreitet. Diese schöne Natur ist nicht nur eine Augenweide sondern sie schenkt auch der Seele Frische.
Manchmal wird das Herz kalt und dunkel wie der Winter. Der Mangel an Liebe breitet sich wie eisiges Wasser in den Adern aus und stimmt den Menschen traurig. Doch die Natur lehrt uns, dass auch ein Herz, in dem es kalt und dunkel ist, wieder eine grüne fröhliche Welt betreten kann. Wir können den Sonnenaufgang erneut erleben und einen Wandel bewirken und wie die Natur frohes Grün sichtbar machen und großzügig Liebe spenden. Der Frühling wartet auf niemanden wenn er kommt. Er durchstreift die Landschaft, Städte und Dörfer und bemalt alles auf schöne Weise mit seinen bunten Farben. Wir wollen ihn begleiten und zusammen mit ihm das Lied der Harmonie anstimmen.
Die Religion lehrt, dass jede Entwicklung und jeder Wandel auf Gottes Anweisung hin und mit Seiner Erlaubnis erfolgt. Also soll der Mensch sein Bemühen um einen Wandel mit der Bitte um göttlichen Beistand verbinden, damit er den besten Wandel erfährt. Im Koran fordert Gott die Menschen auf, Ihn um Hilfe zu bitten. So heißt es zum Beispiel im Vers 186 der Sure 2 (Baqara):
„وَ اذا سَأَلَک عِبادی عَنّی فَانّی قَریبٌ اجیبُ دَعْوَةَ الدَّاعِ اذا دَعانِ فَلْیسْتَجیبُوا لی وَلْیؤْمِنُوا بی لَعَلَّهُمْ یرْشِدُونَ»؛
Und wenn dich Meine Diener nach Mir fragen, so bin Ich nahe; Ich erhöre den Ruf des Bittenden, wenn er Mich anruft. So sollen sie nun auf Mich hören und an Mich glauben, auf dass sie besonnen handeln und am Ziel angelangen mögen.
Das Dua – Bittgebet – öffnet laut der islamischen Überlieferung die Tore zu Gottes Barmherzigkeit und ist ein helles Wegelicht in den Finsternissen des Diesseits und des Jenseits. Zu Beginn des neuen Sonnenjahres bitten wir Gott darum, dass wir uns bessern und dass er uns zu allem Guten im Leben führt, damit wir wie die schöne Frühlingsnatur unsere Gott gegebene wahre menschliche Natur sichtbar machen und Freundschaft verbreiten. Wenn wir uns immer mehr mit guten Attributen geschmückt haben, dann wird der Zustand unserer Herzen in den besten aller Zustände verwandelt worden sein und haben wir den Weg zur Neuwerdung betreten.
Zum Neujahrstag Nouruz versammeln sich die Iraner und Freunde dieses Festes auf der Welt um das Haft-Sin-Festtuch. Das Schmücken der Haft-Sin-Tafel ist einer der bekanntesten Bräuche zu Nouruz und alles was auf dieses Tuch gestellt wird, symbolisiert etwas Gutes. Der Anfangsbuchstabe dieser Dinge ist Sin – das persische „S“: Traditionell sind es Sabzeh, Samanu, Sumach, Serkeh, Sir, Sib und Sendsched.- Sabzeh sind junge frisch ergrünte Sprossen – ein Symbol für die Wiedergeburt. Die besondere Speise Samanu, die daraus zubereitet wird bedeutet Segen, das Gewürz Sumach steht für den Sonnenaufgang, Essig (Serkeh) für Geduld und Leben und Knoblauch (Sir) für Heilung. Aber es sind nicht nur Dinge, deren Name mit „Sin“ anfangen, die das Haft-Sin-Sofreh schmücken. Die Muslime im Iran legen auch das Himmelsbuch Koran an einen besonderen Platz auf das Haft-Sin-Festtuch, um dieses antike Nationalfest aus der vorislamischen Zeit mit ihren religiösen Überzeugungen zu verknüpfen. Weitere Dinge auf dem Haft-Sin-Sofreh ist eine Schüssel mit Wasser, denn Wasser symbolisiert Reinheit und Frische. Ein Spiegel daneben zeugt für Aufrichtigkeit, Segen und Fruchtbarkeit. Der Spiegel mahnt uns auch, alles genauer zu betrachten und reiner zu werden, damit wir Liebe und Freundschaft wiederspiegeln.
Der Übergang ins neue Jahr ist den Iranern wichtig. Auf die Sekunde genau wird angegeben, wann das sein wird. Der Jahreswechsel kann morgens, aber auch abends oder in der Nacht sein. Es ist von Jahr zu Jahr verschieden.
Einige möchten zum Jahreswechsel gerne an einem heiligen Ort sein, wie im Mausoleum von Imam Ridha in Maschhad oder in einem der Mausoleen der Nachkommen der schiitischen Imame. Sie möchten dort ihre Bitten an Gott richten, wenn das neue Jahr beginnt und einander alles Gute für das neue Jahr wünschen. Es sind frohe Augenblicke.
Zum neuen Jahr besuchen sich die Iraner gegenseitig. Das ist eine ihrer schönsten Sitten. Normalerweise beginnen die Neujahrsbesuche bei den Ältesten in der Familie und alle versammeln sich bei den Großeltern. Jeder trägt schöne neue Kleidung. Die Gesichter strahlen und auch die Häuser strahlen nach dem üblichen Neujahrs-Großhausputz.
Der Großvater öffnet den Heiligen Koran, in den er das Neujahrsgeld für die Jüngeren in der Familie gelegt hat. Es sind lauter neue Geldscheine, die er verteilt. Das ist natürlich für die Kinder ein Höhepunkt zum Neujahrsbesuch. Mit dem Neujahrsgeld können sie sich etwas Schönes kaufen. Die Gäste werden mit Trockenfrüchten, Kernen und Nüssen und mit Süßigkeiten und einem süßen Saft oder Tee bedient. Natürlich werden viele dieses Jahr – wie im März 2020 – auf die schönen Neujahrsbesuche verzichten, weil die Corona-Epidemie noch anhält. Stattdessen werden die Mitglieder der Familie sich über das Internet und die sozialen Netze sprechen und sehen – so wie es seit dem letzten Neujahr der Fall war. Die Corona-Zeit macht uns darauf aufmerksam, wie schön und wertvoll das Miteinander und Füreinander ist. Wir halten nun wegen Corona Abstand und tragen eine Maske um uns nicht gegenseitig zu schaden. Es liegt ein schweres Jahr hinter uns, in dem jedoch die Solidarität gewachsen ist.
Zum diesjährigen Nouruz beginnt das Jahr 1400 und geht das 14. Jahrhundert gemäß dem iranischen Sonnenkalender, der mit der Hidschra des Propheten 621 nach Christus beginnt, zu Ende. Corona überschattet auch dieses Jahr die Nouruzsitten, besonders die Nouruzbesuche und das Nouruzreisen. Aber die Hoffnung darauf, dass es in den Folgejahren weniger Krankheiten gibt lebt weiter und nicht nur auf das: Wir hoffen dass es keine Kriege und keine Ungerechtigkeiten und keine A-Moral mehr geben wird sondern stattdessen Gesundheit, Sicherheit und Frieden sowie Versorgung für alle überall auf der Welt.
Doch nun lässt uns die frische Frühlingsluft genießen und uns an dem Erwachen und Gedeihen in der Natur erfreuen. Wir sollten das Schöne in der Natur in unser Herz einladen. Der Frühling ist gekommen und sagt uns: Mit jeder Schwierigkeit kommt auch Erleichterung, nach jedem Engpass eine Lösung.
Das verspricht auch Gott in den Versen 5 und 6 der Sure (Al Scharh):
فَإِنَّ مَعَ العُسرِ یُسرًا / إِنَّ مَعَ العُسرِ یُسرًا
Also, wahrlich, mit der Drangsal geht Erleichterung einher
Wahrlich mit der Drangsal geht Erleichterung einher
Der wahre Frühling wird eintreten, wenn der Weltenretter erscheint. Er wird kommen und die Erde wird wahres Wachstum und wahr Entfaltung erleben. In Hoffnung auf jenen Tag, wünschen wir allen das Beste zum Neuen Jahr.