Sanai hat 11. und 12. Jahrhundert nach Christus im damaligen Groß-Iran gelebt.
Gemäß dem iranischen Autor und Literaturkritiker Dr. Schafii Kadkani sehen die Literaturkenner einen erstaunlichen Unterschied zwischen der iranischen Dichtung vor und der Dichtung nach Sanai. Dr. Kadkani sagt, dass sonst keiner der anderen Größen der Farsi-Dichtung einen solchen markanten Abschnitt in der iranischen Literaturgeschichte entstehen ließ wie Sanai, selbst nicht Saadi, Hafiz oder Maulana (Rumi). Dies spricht für den literarischen Einfluss dieses Dichters, Philosophen und Mystikers. Er ist der Begründer der mystischen Mathnawi-Dichtung und hat Attar und Maulana (Rumi) inspiriert.
Abul Madschd Adam Sanai Ghaznawi ist 464 nach der Hidschra in Ghazna, das damals zu Iran und heute zu Afghanistan gehört und Ghazni heißt, zur Welt gekommen. Nach dem christlichen Kalender wurde er 1080 geboren und verstarb am 8. Mai 1131. Sein Grab liegt in Ghazni. Sanai wuchs in Ghazni, wo heute sein Grab liegt, auf und studierte dort alle damaligen Wissenschaften – von der arabischen Literatur bis zur islamischen Rechtslehre, der Kunde von der islamischen Überlieferung und der Koranexegese, sowie Sternkunde und Medizin, Philosophie und Scholastik Sein hochgradiges Wissen tritt in allen seinen Werken deutlich in Erscheinung.
Sanai stammt aus einer iranischen in Ghazna ansässigen Familie und sein Vater war ein gebildeter und angesehener Mann, der – wie Sanai selber berichtet- großen Wert auf Lehre und Erziehung seiner Kinder legte. Auch war Ghazna, der Heimatort von Sanai, ein renommiertes Zentrum für Literatur und Wissen. Schon als noch sehr junger Mensch gelangte Sanai in dieser günstigen Umgebung zu einem Wissensstand, der für einen Hofdichter gefordert wurde. Zusammen mit seiner scharfen Zunge und seinem Einfallsreichtum verschaffte er sich dadurch schon als junger Mann einen Platz unter den Lyrikern und Gelehrten.
Sanai ist einen Teil seines Lebens auf Reisen gewesen- er besuchte Balch und Sarchas, Herat und Neyschabur und andere Städte in Chorasan und erweiterte dort sein Wissen bei Gelehrten und Mystikern, wie Mohammad ibn Mansur Sarchasi.
Einen Teil der Dichtung von Sanai bilden die Lobgedichte aus der Zeit, wo er sich am Hofe von Herrschern befand und wie andere zeitgenössische Dichter ein vergnügliches Leben führte. Aber das sollte sich ändern. Sanai hegte den Wunsch nach Mekka zu pilgern. Er trat in Balch die Reise zur Kaaba an. Sanai-Experten bezeugen, dass die Pilgerreise zum Hause Gottes Sanai veränderte. Der iranische zeitgenössische Autor, Historiker und Forscher Dr. Dhabiullah Safa drückt es so aus, dass „Sanai dank der Mekkareise aus der Dunkelheit der Begierden befreit wurde und die Herrlichkeit der Wahrheit ihn verzückte, so dass er sich von der Welt und ihren Bewohnern abwandte und ein einflussreicher Dichter wurde.“
Als Sanai aus Mekka nach Balch zurückkehrte, trat die Wirkung seines inneren Wandels zum Vorschein. Die Huldigung der Herrscher und das Hofleben bereiteten ihm Kummer. Er wandte sich der Frömmigkeit zu, was sich in seiner Poesie bemerkbar machte. Viele seiner religiösen Gedichte, die seiner Lyrik einen höheren Rang gegenüber den anderen klassischen Dichtern verleiht, hat er in dieser Zeit in Balch geschaffen.
Nach zahlreichen Reisen und der inneren Revolution kehrte Sanai nach einiger Zeit heim nach Ghazna. Er zog sich aus der Gesellschaft zurück und fasste seine Gedichte mit mystischem und moralischem Inhalt zu einem Divan zusammen. Neben diesem Gedichtband mit 40 Tausend Doppelversen (Beit) in Gestalt von Kassiden und Ghaselen und Vierzeilern, hat er noch weitere dichterische Werke hinterlassen.
Professor Ahmet Ateş, ein 1966 verstorbener türkischer Literaturforscher ist der Überzeugung, dass Sanai auf Wunsch von Ahmad ibn Masud Tischeh möglicherweise die Gedichte in seinem Divan neu angeordnet hat, und schreibt, Außerdem habe Sanai einen Poesie- und Prosaband (Koliyat) zusammengestellt, der wahrscheinlich auch seinen berühmten Hadiqat al Haqiqa (der Garten der Wahrheit) enthielt. Nach Ansicht dieses türkischen Literaturforschers kam Sanai jedoch vor seinem Tod nicht mehr dazu, dem Hadiqat al Haqiqa oder dem Poesie- und Prosaband seine endgültige Gestalt zu geben. Seine Schüler und Freunde haben ein neues Exemplar von seinem Divan, dem Hadiqat und Koliyat zusammengestellt und das Vorwort zu Ende geschrieben. Auf diese Weise lassen sich nach Ansicht von Professor Ahmet Ateş auch die deutlichen Unterschiede im Inhalt und der Anordnung seines großen Werkes erklären. Professor Ahmet Ateş berichtet: Es liegt ein wertvolles Exemplar des Poesie- und Prosabandes von Sanai vor, das sehr alt aussieht. Von anderen Dichtern sind keine ähnlich alten Exemplare erhalten geblieben.”
Zu den Werken von Sanai zählen:
Hadiqat ul Haqiqa, Seyr ul ibad ila-l Miad (die Reise des Dieners zum Ort der Rückkehr), Karnameh (Arbeitsbuch) Balch und Makatib Sanai (Briefsammlung).
Der Gedichtband (Divan) von Sanai enthält Gedichte in unterschiedlicher dichterischer Gestalt – wie
Kassiden (Oden), Qete´(Kurzgedicht nur jeweils zwei aufeinanderfolgende Zeilen haben den gleichen Endreim), Vierzeiler und Ghazelen, Tardschi`Bandi (nach jedem Abschnitt wird ein Vers mit dem gleichen Endreim wiederholt) und Tarkib-Bandi (mit jeweils zwei oder mehr Versen mit gleichem Endreim (und ebenso Qalandariyat (Gedichte die aus dem gewohnten Rahmen fallen).
In dem alten Exemplar des Poesie- und Prosabandes von Sanai ist der Inhalt thematisch geordnet. Gemäß Biografen umfasste der Gedichtband (Divan) 30 Tausend Doppelverse (Beit). Das von Modares Rasawi überarbeitete Exemplar, bei dessen Zusammenstellung das wichtigste vorliegende Manuskript zugrunde gelegt wurde, enthält 13 Tausend 780 Doppelverse. Jedenfalls enthält diese Druckausgabe und die Druckausgabe des Teheraner Universitätsprofessors Dr. Mazuher Musaffa (verstorb. 2019) eine größere Anzahl von Gedichten als die Anzahl, die Sanai im Vorwort zu seinem Koliyat selber nennt. Zum Beispiel heißt es im Koliyat von Sanai, dass es ingesamt 137 Kassiden und 206 Ghazelen und 443 Vierzeiler von ihm gibt. Aber in der Druckausgabe sind über 300 Kassiden, 408 Ghazelen und 537 Roba`i – Vierzeiler enthalten. In den handschriftlichen Exemplaren in Indien und London begegnen wir weiteren Gedichten, welche in der Druckausgabe, die bereits mehr Gedichte als die von Sanai genannte Zahl enthält, fehlen.
Das Werk Karnameh-e Balch – oder einfach Karnameh – ist ein kleines Mathnawi mit 497 Doppelversen. Diejenigen, die die Werke Sanais überarbeitet haben, sehen in diesem Karnameh ein Werk, in dem sich die Befindlichkeit Sanais widerspiegelt. Sie betrachten es daher als besonders wichtig. Der verstorbene Modares Rasawi hat den Karnameh von Sanai untersucht, überarbeitet und aus dem Druck gebracht. Das Wort Karnameh bedeutet so viel wie „Arbeitsbuch“. Gemeint ist ein Buch, in dem wichtige Arbeiten stehen, welche jemand erledigen kann. Zum Beispiel gibt es auch einen Karnameh aus dem 3. Jahrhundert nach Christus von Ardeschir Papakan, dem Begründer des Sassanidenreiches.
Das Buch heißt deshalb Karnameh, weil Sanai über das Vorgehen einiger Persönlichkeiten seiner Zeit schreibt. Da er sich im Karnameh über deren Tun amüsiert wird der Karnameh auch Mutayebeh-Nameh genannt. Mutayebeh bedeutet Scherz. Für Sanai-Forscher kann Karnameh Balchi als beste Informationsquelle über das private und familiäre Leben Sanais dienen. Sanai gibt darin in ungefähr 500 Doppelversen einen Einblick in sein eigenes Leben und das Leben seines Vaters und einiger bekannter Zeitgenossen.
Das Buch Hadiqat ul Haqiqa wa Tariq-ul Scharia (Garten der Wahrheit und Weg der Scharia) von Sanai – auch als Ilahinameh (Buch des Göttlichen) bekannt, ist ein Mathnawi, d.h. eine Dichtung in Zweizeilern. Es beginnt mit den Attributen Gottes und einer Beschreibung des Propheten. Im Buch sind Kapitel über die Vernunft, Wissen, Weisheit und Liebe enthalten. Sanai zieht viele hörenswerte und interessante Erzählungen zur Darlegung seiner Überzeugungen heran. Es sind schon zahlreiche Kommentare zu diesem Buch geschrieben worden und so große Dichter wie Nezami und Chaqani wurden in ihren Werken von ihm beeinflusst. Hadiqat ist das erste mystische Mathnawi in der iranischen Literaturgeschichte und der bekannte Dichter Rumi, eigentlich Maulana Dschalaliddin Mohammad Maulawi, fand großes Gefallen an diesem Werk und hat wichtige Abschnitte in seinem eigenen Mathnawi übernommen. Das zuverlässigste Exemplar des Hadiqat ist die Überarbeitung von Professor Modares Rasawi.
Das Werk Seir ul Iban ila-l Miad – „die Reise des Dieners zum Ort der Rückkehr“ ist ebenso ein Poesiewerk von Sanai. Sein Inhalt ist mystisch und verschlüsselt und beschreibt auf schöne Weise die Reise in die Welt der Immaterialität und Geistigkeit. Für Forscher ist es eines der bekanntesten mystischen Gedichtwerke in der Farsi-Sprache.
Aql-Nameh, Ischqnameh- Tariq ul Tahqiq und viele andere Gedichtswerke werden auch Sanai zugeschrieben, was jedoch von Experten angezweifelt wird.