Die Islamische Ethik umschreibt die erfreulichen guten Eigenschaften eines Menschen auf schöne Weise und spornt dazu an, sich mit diesen Werten zu schmücken. Gott spricht in den Versen 34 und 35 der Sure 22 (Hadsch):
«…بَشِّرِ الْمُخْبِتِینَ، الَّذِینَ إِذا ذُکِرَ اللّهُ وَجِلَتْ قُلُوبُهُمْ وَ الصّابِرِینَ عَلى ما أَصابَهُمْ وَ الْمُقِیمِی الصَّلاةِ وَ مِمّا رَزَقْناهُمْ یُنْفِقُونَ »،
…. Und verkünde frohe Botschaft den Demütigen,
denjenigen, deren Herzen sich mit Ehrfurcht füllen, wenn Allahs gedacht wird; die das standhaft ertragen, was sie an Leid trifft, das Gebet verrichten und von dem, womit Wir sie versorgt haben, spenden.
Das Arabische Wort Muchbitin, was hier mit Demütige übersetzt wurde, geht auf das Wort Achbat zurück, welches drei Bedeutungen in sich vereint, nämlich demütige Bescheidenheit, innere Ruhe und Ergebenheit. Wer aber sind die Muchbitin – die Demütigen? Der Vers 35 zählt vier ihrer Eigenschaften auf: die ersten beiden sind spiritueller Art und die beiden nächsten kommen in einer körperlichen Handlung zum Ausdruck. Zuerst heißt es: dass sich ihre Herzen sich mit Ehrfurcht füllen, wenn Allahs gedacht wird.
الَّذِینَ إِذا ذُکِرَ اللّهُ وَجِلَتْ قُلُوبُهُمْ
Sie fürchten sich nicht grundlos vor dem Zorn Gottes und zweifeln auch nicht an Seiner Barmherzigkeit, sondern sie empfinden Ehrfurcht vor Seiner Herrlichkeit und Größe und fürchten, die Pflichten, denen sie Ihm gegenüber nachkommen sollen, nicht oder nur halbwegs erfüllt zu haben. Der iranische Religionsgelehrte Alameh Tabatabai schreibt: „Das Licht des Glaubens leuchtet allmählich im Herzen des Menschen auf. Es wächst Schritt für Schritt und wird beständiger und von Tag zu Tag vollkommener und erreicht eine Stufe des Glaubens, wo sein Herz in einen besonderen Zustand gerät, wenn der Name Gottes genannt wird – eine Befindlichkeit, die mit Furcht einhergeht:
الَّذِینَ إِذا ذُکِرَ اللّهُ وَجِلَتْ قُلُوبُهُمْ
deren Herzen sich mit Ehrfurcht füllen, wenn Allahs gedacht wird;
Sie verspüren etwas von der Größe Gottes.“
Demütige Bescheidenheit und Ergebenheit nehmen in der Islamischen Ethik einen besonderen Platz ein. Während der Fastenzeit im gesegneten Ramadan kann sie jeder stärken. Die Bescheidenheit macht die Herzen sanft und bringt die anderen dem Menschen näher. Sie ist das Geheimnis für Freundschaft und Nächstenliebe und das Fundament für Erhabenheit. Auf dem Acker der Bescheidenheit wachsen die schönen Blumen der Brüderlichkeit und Liebe und des Großmutes. Demütige Bescheidenheit beschert Ehre. Sie ist eine innere Haltung, welche in Wort und Tat zum Vorschein tritt. Ein bescheidener, demütiger Mensch begegnet anderen freundlich. Wer diese Eigenschaft innehat, besitzt eine kostbare Gabe. Ein bescheidener Mensch ist Gott gegenüber ergeben. Er führt die gottesdienstlichen Werke mit großer Liebe und festem Glauben durch. Seine Bescheidenheit und Demut gegenüber Gott ist wie eine sichere Festung, in die der Feind nicht eindringen kann. Sie ist eine ehrenvolle Krone, die aufrichtige Gottesdiener tragen.
Die zweite Eigenschaft der Muchbitin – der Demütigen -, die im Vers 35 der Sure Hadsch genannt wird, ist ihre Geduld. Denn es heißt:
die das standhaft ertragen, was sie an Leid trifft
وَ الصّابِرِینَ عَلى ما أَصابَهُمْ
So gewaltig ein Unglück auch sein mag: Die Muchbitin lassen sich davon nicht in die Knie zwingen und werden nicht verzweifelt. Sie laufen nicht davon und sie sagen nichts, was Undankbarkeit bedeuten würden. Denn sie wissen, dass Gott von allen der Barmherzigste für sie ist und dass die Missgeschicke sie etwas lehren und sie für das Leben abhärten sollen und ihnen Geduld auf dem Wege Gottes spenden.
Gott nennt noch zwei weitere Merkmale der Demütigen – der Muchbitin – und zwar ihr Gebet und ihre Spenden. Er spricht: Sie sind diejenigen, die
das Gebet verrichten und von dem, womit Wir sie versorgt haben, spenden.
وَ الْمُقِیمِی الصَّلاةِ وَ مِمّا رَزَقْناهُمْ یُنْفِقُونَ
Die Demütigen verrichten einerseits das Gebet in der Form, die Gott befohlen hat und zu den Zeiten, zu denen es gebetet werden muss, und festigen auf diese Weise ihre Beziehung zum Schöpfer der Welt. Und andererseits festigen sie mit Spenden ihre Beziehungen zu dem Volk Gottes. Die Muchbitin fürchten sich nicht vor Knappheit und hoffen, wenn sie den Bedürftigen spenden, auf das Wohlwollen Gottes und dass Er ihr Hab und Gut segnet. Die Demut der Muchbitin ist also nicht nur eine innere Angelegenheit. Sie soll sich auch in den Taten äußern.
Die Muchbitin – die Demütigen – sind somit bescheidene gottesfürchtige Menschen, die unablässig Gott dienen und keinen Augenblick lang versäumen, Ihm zu gehorchen. Imam Ali (Friede sei mit ihm) sagt über einen solchen Demütigen: „Er ist stark in der Religiosität, sanften Gemütes und weitsichtig. Sein Glaube ist voller Gewissheit, ihn verlangt es nach Wissenserwerb und er besitzt Wissen und Geduld. Er mäßigt sich, wenn es ihm gut geht und ist demütig im Gott-Dienen. Bei fehlenden Mitteln verhält er sich würdig und bei Härten geduldig und strebt nach einem erlaubten Einkommen. Er geht frohgemut den Weg der Rechtleitung und enthält sich von der Begierde.“
Prophet Abraham – gegrüßet sei er -ist ein anschauliches Beispiel für einen demütigen Gottesdiener. Er beugte sich vollständig dem Befehl Gottes.
Nachdem Abraham mit seinem Sohn Ismail (gegrüßet sei[r1] en sie) in aufrichtiger Liebe zu Gott, die Mauern der Kaaba – des ersten Gotteshauses der Menschheit – errichtet hatten, beteten sie, dass Gott sie immer Ihm ergeben sein und aus ihrem Geschlecht ein Gott ergebenes Volk hervorgehen lassen möge. Als der Herr zu Abraham sprach: „Ergib dich!“, sagte dieser: “Ich ergebe mich dem Herrn der Welten.“ Sowohl er als auch sein junger verständiger Sohn Ismael waren Gott ergeben. Als Abraham (gegrüßet sei er) träumte, dass er seinen Sohn opfern soll und Ismail von diesem Traum berichtete, sagte dieser:
«یَا أَبَتِ افْعَلْ مَا تُومَرُ سَتَجِدُنِی إِن شَاء اللَّهُ مِنَ الصَّابِرِینَ»
„O mein lieber Vater, tu, was dir befohlen wird. Du wirst mich, wenn Allah will, als einen der Standhaften finden.“
So steht es in der Sure 37 (Saffat) im Vers 102.
Abraham und Ismael gingen erhobenen Hauptes aus dieser schweren Prüfung hervor. Sie unterwarfen sich dem Willen Gottes. Diese Ergebenheit ist eine sehr hohe Stufe des Gottvertrauens. Abraham unterdrückte seinen eigenen Wunsch und unterwarf sich dem Befehl des Herrn der Welten. Gemäß Imam Sadiq (gegrüßet sei er) wird niemandem der Rang der Gott-Ergebenheit beschert, solange sein Herz nicht geläutert ist.
Der Mensch kann sich durch Erziehung seines Charakters und durch seine Wachsamkeit eine Reihe von edlen Zuständen und Verhaltensweisen aneignen und sich den Weg zur Rettung ebnen. Die würdigen Diener Gottes verhalten sich bescheiden zu den anderen. Von ihnen geht Gutes für die anderen aus. Selbst wenn sie von Unwissenden gerügt werden, bleiben sie höflich und verhalten sich würdig. Mit einem Abschiedsgruß trennen sie sich von ihnen und zeigen auf diese Weise ihren Großmut.