Freitag , Dezember 27 2024
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Die Weisheit der Erleuchtung – Über die Lichtmetaphysik von Šihāb al-Dīn Yaḥya al-Suhrawardī und ihre weitreichenden Zusammenhänge

Roland Pietsch[1]

و ما ذكرتُه من علم الانوار و جميع ما يبتنى عليه وغيره يساعدنى عليه كل من سلك سبيل الله عزّ و جلّ و هو ذوق امام الحكمة و رئيسها افلاطون صاحب الايد و النور

Die Weisheit der Erleuchtung ist die mystische Erfahrung des mächtigen und erleuchteten Platon, Führer und Meister der Weisheit.
Suhrawardī

Mystischen Lichterfahrungen und ihre metaphysischen Deutungen gibt es in allen großen Religionen und Überlieferungen. Die islamische Lichtmetaphysik nimmt dabei eine hervorragende Stellung ein. Im Besonderen gilt dies für Šihāb al-Dīn Yaḥya al-Suhrawardī (1154-1209), einen persischen Mystiker und Philosophen, der in seinen lichtmetaphysischen Darlegungen zahlreiche vorislamische Überlieferungen einbezieht und deutet.

  1. Einleitung

Suhrawardī hat diese Zusammenhänge vor allem in seinem Hauptwerk „Weisheit der Erleuchtung (ḥikmat al-išrāq)[2]“ aufgezeigt, das er als einen mystisch-metaphysischen Leitfaden für seine Schüler und Freunde niedergeschrieben hat. In der Einleitung zu diesem Werk stellt er fest, dass die Grundlagen dieser Philosophie oder Metaphysik aber nicht, wie er sagt, das Denken oder Nach-Denken über das Licht und seine Erscheinungsweisen sind, sondern vielmehr die alles Vernunftdenken übersteigenden mystischen Erfahrungen und Eingebungen, die ihm auf dem geistigen Weg zuteil wurden. Der geistige Weg oder der mystische Pfad (ṭarīqat) im Islam, in dem Suhrawardī Zeit seines Lebens verwurzelt war, übersteigt die Grenzen des islamischen Gesetzes ( šari‘ah) und führt durch verschiedene Stufen zur Einheit mit der höchsten Wirklichkeit Gott (haqīqa). Suhrawardī, der diesen mystischen Pfad selber beschritten hat, nennt zahlreiche große Sufimeister, deren Lehren ihn beeinflußt haben. Nachdrücklich betont er, dass seine Ausführungen über die Lichtmetaphysik, die sich auf diese mystischen Erfahrungen stützen, „sich der Hilfe all jener (verdanken), welche den Weg des mächtigen und gewaltigen Gottes eingeschlagen haben. Diese Ausführungen stimmen überein mit der mystischen Erfahrung des mächtigen und erleuchteten Platon, des Führers und Meisters der Philosophie, und aller, die ihm von Hermes, dem Vater der Philosophie, bis zu seiner eigenen Zeit vorausgegangen sind, unter ihnen solche gewaltigen Größen der Philoophie wie Empedokles und Pythagoras. Die Worte der Alten sind symbolisch und können nicht Gegenstand einer Widerlegung sein; selbst wenn eine solche Widerlegung auf den Wortlaut ihrer Äußerungen zielt, so trifft sie doch nicht deren eigentlichen Sinn, denn ein Symbol kann nicht widerlegt werden. Hierauf gründet sich die orientalische Lehre von Licht und Dunkelheit, die von den persischen Philosophen wie Djamasp, Frashoshtar, Bozorgmehr und ihren Vorgängern vertreten wurde“[3]. Hier wird deutlich, dass Suhrwardi in seinen mystischen Erfahrungen eine Übereinstimmung zwischen seiner im Koran gegründeten Lichtlehre und den vorislamischen Lehren der Griechen, vor allem der Vorsokratiker und der Lichtlehre Platons und darüber hinaus mit der altpersische Geisteswelt gesehen hat. Alle diese Überlieferungen erschließen sich aber nur in einer ihnen entsprechenden Symbolik. Symbole in diesem Sinne dienen im Wesentlichen dazu Wahrheiten auszudrücken, die jenseits des diskursiven Denkens liegen und nicht mit Hilfe der gewöhnlichen Sprache ausgedrückt werden können. Es ist allein der Geist (νοῦς / intellectus), der in einem Akt unmittelbarer Erkenntnis diese jenseitigen Wahrheiten erkennen kann, die sich auf einer gleichsam überbewussten Ebene von Ursprüngen und Prinzipien befinden. Auf dieser Ebene ist der Akt der geistigen Erkenntnis eins mit dem Akt des Seins. Dieser Akt wird bei Suhrawardī zu einem Akt des Lichts, weil das das Sein Licht ist. Platon – eigentlich Plotin, der für ihn eine der wichtigsten Quellen ist, hat den Erkenntnisakt, der für ihn vor allem ein blitzhaftes Lichterlebnis ist, als einen Vorgang beschrieben, der plötzlich entsteht „wie ein Feuer, das von einem übergesprungenen Funken entfacht wurde (ἐξαίφνης, οἷον ἀπὸ πυρὸς πηδήσαντος ἐξαφθὲν φῶς, ἐν τῇ ψυχῇ γενόμενον αὐτὸ ἑαυτὸ ἥδη τρέφει)“[4]; und aus diesem Feuer geht das Licht hervor.

Bevor im Folgenden die Grundzüge von Suhrawardīs Lichtmetaphysik und die in ihr enthaltenen Zusammenhänge mit der islamischen, altpersischen und platonischen Lichtlehre dargelegt werden, wird eine kurze Übersicht über sein Leben und Werk vorangestellt.

Weiter unter: http://spektrum.irankultur.com/wp-content/uploads/2020/07/Die-Weisheit-der-Erleuchtung-.pdf

 

[1] Professor an der Ludwig-Maximilian Universität München, E-Mail: roland.pietsch@t-online.de

[2] Šihāb al-Dīn Yahya al-Suhrawardī, hikmat al-išrāq, in. Henry Corbin, Oeuvres Philosophiques et Mystiques de Shihabaddin Yahya Sorawardi (Opera metaphysica et mystica II), Bd. 2, Teheran, Paris 1952, S. 1-261. Deutsche Übersetzungen: Philosophie der Erleuchtung nach Suhrawardi, Übersetzt und erläutert von Max Horten. Halle a. S. 1912; Shihāb al-Dīn Yahya al-Suhrawardī, Philosophie der Erleuchtung. hikmat al-ishrāq. Aus dem Arabischen übersetzt und hrsg. von Nicolai Sinai, Berlin, 2011. Im Folgenden abgekürzt: hikmat. Das arabische Wort Ḥikmat bedeutet Weisheit und Wissenschaft, kann aber auch mit Philosophie übersetzt werden. Das Wort Išrāq hängt mit šarq zusammen, das Osten und auch das Strahlen von Licht bedeutet. Vgl. dazu auch die Deutungen von Henry Corbin, Sohrawardî et le Platoniciens de Perse, in: Ders., En Islam iranien, Bd. 2, Paris 1971.

[3] Suhrawardī, Ḥikmat, S. 10 f.

[4] Platon, Siebenter Brief, 341 cd.

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