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Die Stellung des Propheten Zarathustra innerhalb der Religionsstifter

Eine Neubewertung von Zarathustra aus religionswissenschaftlicher Sicht
Detlef Thiel [1]

Abstract

Die Reihe der Religionsstifter beginnt mit Zarathustra, dem Begründer des antiken Zoroastrismus, der bis in die heutige Gegenwart noch gläubige Anhänger kennt, z.B. die Parsen. Der Aufsatz unternimmt den Versuch, Zarathustra gleichberechtigt in die Reihe der Religionsstifter zu stellen, einige Gemeinsamkeiten mit anderen Religionsstiftern aufzuzeigen, aber auch seine Besonderheiten herauszuarbeiten. Um seine Person und sein Wirken ranken sich viele Legenden. In diesem Artikel soll der wahre Kern seiner Botschaft jenseits aller Mythen herausgearbeitet werden. Zarathustra gilt als der Begründer des Monotheismus, der das Judentum beeinflusste und im Christentum und Islam modifiziert weiterwirkte. Der Aufsatz ist zugleich eine methodische Prüfung, inwieweit Zarathustra als Prophet mit anderen Religionsstiftern verglichen und inwieweit der Zoroastrismus auf dieser Basis zu den Weltreligionen gerechnet werden kann.

Keywords: Zarathustra, Religionsstifter, Monotheismus, Judentum, Christentum, Islam

1. Zarathustra – ein Religionsstifter?

In der Religionswissenschaft wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts die Figur des Religionsstifters kreiert, der sich gegen den anderen Terminus des Religionsgründers durchgesetzt hat. (Tworuschka, 2018) Eine Religion zu gründen, setzt einen aktiven und ganz bewussten Akt voraus, während das Stiften zwar ebenfalls ein Gründungsakt, aber im Hinblick auf die Folgen weniger gewollt bzw. bewusst erfolgt. Mittlerweile ist es ein anerkannter und sehr verbreiteter Begriff, weil am Anfang einer Religion eine Person steht, die diese Religion ins Leben rief und ihr für die nachfolgenden Generationen einen nachhaltigen Anstoß verlieh.[2] Oft findet sich als eine Scharnierstelle eine Art Initiationserlebnis, welches den Transfer vom Religionsstifter auf die nachfolgende Generation beinhaltet.[3] Aus diesem heraus entwickeln sich dann mehr oder minder feste Bindungen und Institutionen. Von „Stiften“ kann aber immer nur in der rekapitulierenden Rückschau die Rede sein, und es ist auch nicht reibungslos auf den Ausgangspunkt der „Religionsgründung“ zurückdatierbar.[4] Oft sind viele Ereignisse ineinander verwoben und eine soziale sowie auch politische Krise wird überwunden.

In der neueren Forschung hat man in diese Reihe der „neun großen Religionsstifter“[5] – neben Echnaton, den Klassikern Buddha, Laotse und Konfuzius aus dem asiatischen Kulturkreis und Moses, Jesus und Mohammed als abrahamitische Religionsstifter – auch Mani, den Begründer des gnostischen Manichäismus, nunmehr auch den sagenumwobenen Zarathustra aufgenommen. Dabei fällt auf, dass in der älteren Forschung[6] noch ein Wissenschaftler über alle Religionsstifter schrieb, (Mensching 1962 und ders. 1990.) während der Spezialisierung nunmehr so weit vorangeschritten ist, dass sich nur noch Fachexperten über den jeweiligen Religionsstifter äußern. (Brunner-Traut, 1993)[7] Einige nehmen seit neuestem auch Echnaton (1364 – 1347 v. Chr.), den vermutlich ersten Monotheisten bzw. Henotheisten (Waldenfels 1992, S. 281)[8] der Religionsgeschichte, in diese Reihe klangvoller Namen auf.[9] (Brunner-Traut 1993, S. 9 – 29) Immer wieder wird betont, dass es nicht die Absicht der Religionsstifter gewesen sei, eine Religion zu gründen. Aber: wie sind ihre Wirkungsmächtigkeit, die Verschriftlichung ihrer Hauptgedanken und Taten, die Legendenbildung um ihre Person, ihre Geburt, ihr Schaffen als Ganzes anders zu verstehen, als dass sie ihren Glauben haben in die Welt verbreiten wollen und sich dazu einer gewissen Verstetigung und Institutionalisierung bedient hätten?! Warum ziehen sie mit Anhängern durch die Gegend (Jesus), bekämpfen andere Stämme und religiöse Vorstellungen (Mohammed), gründen einen Aschram (Buddha), führen ihr Volk in ein gelobtes Land (Moses) oder beschützen die neue Lebensgrundlage der Menschen (Zarathustra)? Warum werden ihre Taten und Gedanken in „heiligen Schriften“[10] festgehalten und auf diese Weise chronologisch geordnet und über Jahrhunderte weitergegeben, so dass diese Religionsstifter zu den maßgeblichen Menschen der Menschheitsgeschichte gehören?[11] Nach Karl Jaspers wirken diese Kulturstifter im Rahmen einer „Achsenzeit“[12] – einer Zeit also, die unsere Weltgeschichte in dem jeweiligen Sprach- und Kulturraum nachhaltig und für immer auf eine neue Stufe gehoben hat.

Weiter zum Artikel:

https://www.spektrumiran.com/article_203853.html

https://www.spektrumiran.com/

 

[1].  Dr. Detlef Thiel, freier Philosoph in Wiesbaden. E-Mail: thiel.detlef@t-online.de

[2] Mensching, 1990, S. 251: „Wir nennen sie Religionsstifter, ohne dabei zu bedenken, daß dieser Begriff vom Effekt ihres Wirkens ausgebildet ist, dass es aber in keines der Meister ursprünglichen Absicht lag, eine neue Religion zu stiften.“ Letztere Aussage darf in Einzelfällen auch angezweifelt werden.

[3] Man denke z.B. an die Geburtsstunde der katholischen Kirche in der Apostelgeschichte.

[4] W. Weischädel fragte sich, wie aus Epikur die Epikureer entstanden. Es geht um Traditionsbildung.

[5] Brunner-Traut (1993) zählt dazu Echnaton, Moses, Zarathustra, Jesus, Mani, Mohammed, Buddha, Konfuzius und Laotse. Bei Antes (1992) findet sich noch Guru Nanak, der Begründer des Sikhismus.

[6] Die findet sich in Schlerath (1970) mit zahlreichen Aufsätzen und Widengren (1961).

[7] In diesem Buch schreiben neun Experten über die neun Religionsstifter. Als Ägyptologin verfasst sie den Artikel zu Echnaton. Vgl. auch Antes 1992 und Vogel 2016.

[8] Im Rahmen eines Polytheismus (= Vielgötterei) wird einem Gott, dem „Hauptgott“, der Vorrang eingeräumt. Die anderen Götter werden also nicht geleugnet. Vgl. dazu Assmann / Strohm 2012. Sie sprechen von einer „Genese und Dynamik des Monotheismus“.

[9] Mit Echnaton beschäftigt sich eingehend Assmann / Strohm, 2012, S. 13 ff., 42 ff. sowie Assmann 2003, S. 54 ff., 83 ff. Freud sprach von einer „monotheistischen Episode“ bei Echnaton und meint, Moses (der Ägypter) sei Anhänger Echnatons gewesen und nach dessen Sturz mit einer Gruppe von Juden nach Kanaan geflohen. Dort habe er diesen Monotheismus auf den strengen Vulkan-Gott Jahwe übertragen. Diese Verschmelzung führe zu seinen Eigenarten.

[10] Vgl. dazu Frenschkowski 2007, S. 148 ff (Avesta), Lanczkowski, 1956, S. 76 ff. (Avesta) und schließlich Tworuschka 2008, S. 193 ff. (Zoroastrismus). Vgl. zum Avesta Stausberg 2002, Bd. I, 69 ff.

[11] Japsers 2013, zählt zu den „maßgeblichen Menschen“ Sokrates, Buddha, Konfuzius und Jesus.  Ders., 2012 zählt noch Philosophen wie Platon, Parmenides etc. dazu.

[12] Neben Jaspers (2012, 2013) sind zu nennen Eisenstadt 1987 und Assmann 2020.

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