Abu`l Hasan Kasa´i Marwazi (persisch: کسایی مروزی) war ein persischer Dichter des 10. Jahrhunderts.
Abu-l Hasan Kasai ist 952 nach christlicher Zeitrechnung in Marw auf die Welt gekommen. Er ist dort aufgewachsen und hat sich auch dort mit den damaligen Wissenschaften vertraut gemacht. Marw, welches damals zum Osten Irans gehörte und heute auf das Territorium das zentralasiatische Turkmenistan fällt, war zu der Zeit ein wichtiges Zentrum für Kultur und Wissen. Es nimmt einen festen Platz in der Geschichte Irans ein. Seine Geschichte reicht bis in die Zeit vor Christi Geburt zurück.
Marw, auch Merw genannt, gehört zu den antiken Städten der arischen Völker. Der Achämenidenkönig Darius der Erste, geb. 549 v. Christus, hat diese Stadt auf der so genannten Behistun-Inschrift in Bisutun im westiranischen Kermanschah mit dem Namen Margusch (das altpersische Wort für Margiane) erwähnt. Margiane bzw. Marw zählt zu den Gebieten, die den Arsakiden gehörten. Die Arsakiden beherrschten das Partherreich ab dem 3. Jahrhundert vor Christus. Auch unter den Sassaniden, die vom 3. bis 7. Jahrhundert nach Christus herrschten, war Marw eine bedeutende Stadt und seine Bedeutung blieb auch danach zur Zeit der iranischen Herrscher erhalten.
Marw ist eine der vier alten Städte von Chorasan und war mehrmals Hauptstadt dieser Provinz. Die drei anderen wichtigen Städte von Chorasan sind Neyschabur, Balch und Hirat gewesen. Marw lag in der Nähe von Chorazm und Transoxanien. Zugleich war es mit Sarchas und Neyschabur verbunden und seine geografische Lage war auch aus militärischer Hinsicht und in Bezug auf den Handel günstig. Dies alles verlieh ihm einen besonderen Platz. So kam es, dass seit den Sassaniden und auch während der Herrschaft der Araber bis zum Abbasidenkalifen Mamun, Marw die Hauptstadt von Chorasan gewesen ist. Erst die Tahariden haben das Zentrum von Chorasan 820 nach Christus auf Neyschabur verlegt. Die Samaniden wählten später Balch und Buchara als Provinzzentrum, aber Marw wurde im Seldschukenreich (11. bis 14. Jahrhundert nach Christus) erneut zur Hauptstadt von Chorasan. Der Seldschuke Sultan Sandschar, verst. 1157 n. Chr., verlegte den Regierungssitz nach Marw. Die Stadt war dermaßen kultiviert, dass alle gut leben konnten, ob sie Landsgutbesitzer oder Bauern waren.
Damals versammelten sich begabte Leute wie Chorazm Gorgandschi in Marw und erwarben in den Bibliotheken und den Lehrstätten (Madresa) Wissen. Marw besaß im Jahre 550 nach der Hidschra (um 1156) zehn große öffentliche Bibliotheken. Eine davon bewahrte 12 Tausend Buchbände.
Der bekannte Geograph Yaqut al-Hamawi (geboren 1179 n. Chr.) befand sich in Marw, als die Mongolen im Iran einfielen. Er schreibt:
„Ich verließ Marw (616 n.d.H.), als es noch in einer exzellenten Lage war. Diese Stadt wurde (616 nach der Hidschra- 1212 n. Christus) von den Mongolen vollständig zerstört. Nachdem Sultan Mohammad Choresmschah geflohen war, verteidigte Mudschir ul Mulk, der ehemalige Befehlshaber von Marw, die Stadt gegenüber den Mongolen. Er tötete den Scheich-ul-Islam von Marw und den Richter von Sarchas, welche sich den Mongolen ausliefern wollten. Die Mongolen umzingelten die Stadt. Marw leistete 5 Tage lang Widerstand, aber kapitulierte schließlich vor Tuli Khan, dem Sohn des Dschingis. Tuli befahl, dass alle Bürger vor die Stadt geholt werden. Er setzte sich auf einen goldenen Thron und befahl die Obersten der Choresmschahs zu enthaupten. Dann verteilte er die Bürger unter den Heeresleuten. Die Mongolen brachten alle Frauen, Männer und Kinder um und danach setzten sie Marw in Brand. Bei diesem Ereignis wurden 700 Tausend Menschen ermordet und keiner der Bewohner blieb am Leben. Nach der Zerstörung, dem Massaker und dem Brand, ist Marw nie wieder zu der ehemaligen Blütezeit zurückgelangt.“
Im 10. Jahrhundert nach Christus, zu Lebzeiten von Kasa`i, war Marw noch das Paradies für alle Freunde der Kunst und Forschung. In der Stadt gab es eine Bibliothek mit Büchern, die der letzte Sassanidenkönig Yazdgerd der III von seiner Flucht aus Ksetiphon im Irak nach Marw mitgebracht hatte. Laut Yaqut al Hamawi hatte Marw noch mehrere renommierte Bibliotheken, welche die Samaniden gegründet hatten. Er schreibt, dass viele Forscher und Denker den Stoff für ihre Bücher aus den Bibliotheken dieser Stadt bezogen.
Die Stadt Marw, die solche kulturellen Möglichkeiten bot, war natürlich auch ein günstiger Ort für die Hervorbringung von Dichtern. Im 3. und 4. Jahrhundert nach der Hidschra und islamischer Zeitrechnung, d.h. im 9. und 10. Jahrhundert nach Christus haben die samanidischen Herrscher die iranische Kultur und Sprache gefördert. Aus Marw gingen viele Dichter hervor von denen Masudi Marwazi, der das erste iranische „Buch der Könige“ verfasste, und Abu Nasr Marghazi genannt werden können. Abu-l Hasan Kasa`i gehört ebenso zu den angesehenen Dichtern von Marw. Er wurde in Marw geboren und verstarb auch dort.
Kasa`i war in einer Zeit Dichter, wo die Macht der samanidischen Herrscher nachließ und dies hat sich stark auf sein Leben und seinen poetischen Stil ausgewirkt. Zu Beginn schrieb Kasa`i Gedichte zur Huldigung des samanidischen Herrschergeschlechtes und davon sind einzelne Gedichte in den Biografien überliefert worden. Doch nachdem die Herrschaft der Samaniden zu Ende ging, erfuhr er einen geistigen Wandel und bereute, dass er diese Lobgedichte für sie verfasst hatte.
Der Gedichtband (Diwan) des Kasa`i blieb bis zum 12. Jahrhundert nach der Hidschra erhalten. Dann scheint er verlustig gegangen zu sein und es blieben von ihm nur noch einige verstreute Doppelverse zurück. Doch die Geschichtsschreiber, welche seinen Diwan gelesen haben berichten, dass der ganze Gedichtband der Ehrung des Propheten und seiner Familie gewidmet war. Auch hat Aufi Anfang des 13. Jahrhunderts in seinem Werk Lubab al Albab geschrieben, dass die meisten Gedichte von Kasa`i von der Frömmigkeit handeln, Mahnungen enthalten und die hohen Eigenschaften der Edlen aus dem Hause des Propheten preisen.
An den Gedichten von Kasa`i ist deutlich abzulesen, dass er mit Sicherheit einer der großen Poeten seiner Epoche war, einen kreativen Geist besaß und sich meisterlich darauf verstand etwas auszudrücken, zu beschreiben und zu verbildlichen.
Literaturforscher sehen in ihm einen Poeten, der gekonnt die Natur in Wortgemälden darstellt. Sie führen sein Ansehen und seine Verewigung als Dichter auf seine klaren und lebendigen Beschreibungen und seine einfachen, feinsinnigen und faszinierenden Vergleiche zurück. Kasa`is Beschreibungen von Erscheinungen in der Natur, wie der Tagesbeginn, der Regen und Blumen und vieles mehr sind etwas Besonderes in der Farsi-Dichtung.
Der 1970 verstorbene iranische Literaturforscher und Universitätsprofessor Badi–uz Zaman Furuzanfar, sagt über die Dichtung von Kasa`i:
„Kasa`i gehört zu den großen iranischen Dichtern und aus dem Wenigen, was noch von seinen Gedichten erhalten geblieben ist, lässt sich auf die Weite seines geistigen Horizontes und seine feine Phantasie sowie seine Sprachfertigkeit und Ausdruckskraft schließen. Die Gedichte von Kasa`i zeichnen sich durch die feinen zutreffenden Vergleiche aus und in dieser Fertigkeit können sich nur einige wenige mit ihm messen. Nasir Chosrau (11. Jahrhundert) hat oftmals Kasa`is Namen angeführt und gesagt, dass er in der Dichtung mit ihm wetteifere.“
Der iranische Professor für Farsi-Literatur, Dr. Schafii Kadkani, schreibt in seinem Buch Sur-e Chial wie folgt:
„Hinsichtlich der Phantasieformen und der verschiedenen Arten von Verbildlichung insbesondere für den Bereich der Natur handelt es sich bei der Dichtung von Kasa`i um die beste Poesie, die wir von den Dichtern des 4. Jahrhunderts (10. Jahrhundert n. Christus) vorliegen haben. Es ist zu bedauern, dass der Gedichtband dieses Poeten verlustig ging und nur einige verstreute Ausschnitte davon erhalten geblieben sind. Jedoch auch in diesen restlichen Reimen sind an jeder Stelle bestens die besonderen Eigenschaften der Poesie des 4. Jahrhunderts zu sehen.“
Kasa`i kleidete auch Weisheit und Mahnung meisterlich in die poetische Form und er war es, der Ende des vierten Jahrhunderts (10. Jahrhundert nach Christus) die Dichtung mit solchen Inhalten vervollkommnete und dazu betrug, dass nach ihm Poeten wie Nasir Chosrau Qubadiyani erschienen.
Die religiöse Dichtung von Kasa`is ist nicht nur aus künstlerischer Hinsicht interessant, sondern auch bei der Betrachtung der Sozialgeschichte Irans und der Geschichte der Verbreitung unterschiedlicher Denkweisen in Chorasan sehr hilfreich. Kasa`i hat in diesen Gedichten die Lage der Religion, Politik und Gesellschaft im 4. Jahrhundert nach der Hidschra (10. Jahrhundert nach Christus) geschildert und viele Probleme und Missstände in jener Epoche angesprochen, die eine nähere Untersuchung verdienen.