Von Ali Sayadani, Abolfazl Fathi und Norouz Peighami | Erschienen in Spektrum Iran 2-2017
Einleitende Gedanken
Saadi ist derjenige Denker und Dichter, dessen Sprache und Poesie die persische Sprachgemeinschaft viel zu verdanken hat. Saadi, ›König der Sprache‹ und ›der Redegewandteste unter den Dialektikern‹ in der Literaturgeschichte des Iran hat im Hinblick auf die politischen und sozialen Ereignisse in der dunkelsten und schwierigsten Periode Persiens, das heißt in der Zeit der Mongoleneinfälle, gelebt. Nach einstimmiger Meinung aller persischer Literaten ist Saadi einer der vier Gipfel der persischen Poesie.
Die vier großen Dichter Persiens sind Ferdousi, Hafez, Rumi und Saadi. Diese vier Dichter sind nicht nur bei Iranern bekannt, sondern ihr Ruhm ist weit über die eigenen Grenzen hinausgegangen und hat viele Dichter anderer Länder geprägt. Manche scharfsinnigen Literaten sind sogar der Ansicht, Saadi sei der größte Dichter Persiens. Es ist nicht bekannt, wann Saadi geboren wurde. In verschiedenen Quellen ist sein Geburtsdatum genannt, in anderen nimmt man im Hinblick auf die Einleitung zu seinem ›Golestan‹ sein Geburtsdatum zwischen 1213/1219 an. Auf jeden Fall scheint es gesichert, dass Saadi zu Beginn des 13. Jahrhunderts in einer Gelehrtenfamilie in Schiraz das Licht der Welt erblickt hat, denn er hat mehrmals angedeutet, dass er aus dieser Stadt stammt In den ersten Jahren der Kindheit verliert Saadi seinen Vater und erlebt schmerzlich das Fehlen des Vaters:
»Ich selber weiß ums Leid verlass’ner Kinder hier,
denn in der Kindheit schied der Vater weg von mir.«
Saadi erwirbt die elementaren Fertigkeiten seiner Zeit in Schiraz und reist schließlich nach Bagdad, um sein Studium zu ergänzen das Zentrum des abbasidischen Kalifats, eines der wichtigsten Zentren der islamischen Wissenschaften, und übt eine besondere Anziehungskraft für die Wissenssuchenden aus. Saadi studiert in der Hochschule Nizamiyya, die zwei Jahrhunderte zuvor von Khadjeh Nizam al-Mulk gegründet worden ist. In Bagdad lernt Saadi viele Denker und Gelehrte kennen und nimmt am Unterricht der bedeutenden zeitgenössischen Gelehrten teil. 20 bis 25 Jahre nach dem Abschluss seiner Studien in Bagdad kehrt er nach Schiraz zurück. Dann macht er lange Jahre Wanderungen in islamische Regionen, wie Hidschaz, Syrien und Anatolien. Er verbringt viel Zeit mit unterschiedlichsten Menschen und sammelt Erfahrungen.
Saadi weist in seinen Werken, vor allem im ›Golestan‹ darauf hin, dass er in andere Städte und Länder, wie nach Balch und Indien, gereist sei. Diese Reisen werden gelegentlich als dichterische Phantasien bezeichnet. Historiker und Saadi-Forscher halten Saadis Angaben jedoch für echt und sind der Auffassung, dass Saadi tatsächlich überall in der damals bekannten Welt weilt und Ägypten, Armenien, China, Äthiopien und sogar Europa besucht, sodass man außer dem Weltreisenden Ibn Battuta niemanden findet, der so viele Reisen wie Saadi unternommen hat.4 Nach seiner Rückkehr nach Schiraz ist Saadi ein erfahrener und redegewandter Dichter, der Bekanntheit erlangt hat. Er verfasst Gedichte, sammelt Sprichworte und schreibt Bücher. Wie sein Geburtsdatum wird auch sein Todesdatum unterschiedlich angenommen. Unter den unterschiedlichen Annahmen scheint das Jahr 1297 das richtige Datum zu sein. Saadis Mausoleum in Schiraz ist seit langer Zeit bekannt. Diese Grabstätte ist seit seinem Tod ein Wallfahrtsort für Mystiker. Viele Weltreisende, die im Laufe der Jahrhunderte nach Schiraz gereist sind, erwähnen in ihren Schriften Saadis Grabmal.
Saadis Schriften und sein Ruhm
Saadis Ruhm beruht nicht auf seiner Lebensweise oder seinen langen Reisen, sondern er bezieht sich auf seine außergewöhnlichen Werke. Zudem erlebt die persische Sprache eine wichtige Phase ihrer Entwicklung anhand der Gedichte und Schriften Saadis und vermag seither die feinsten menschlichen Gefühle zu reflektieren. Über den literarischen, philosophischen sowie den mystischen Wert seiner Schriften sind bereits lange Texte verfasst worden. In diesem Beitrag soll nur ein kurzer Blick auf die wichtigsten Werke Saadis geworfen werden.
Der ›Bustan‹
Saadis erste eigenständige Schrift ist der ›Bustan‹, auch ›Saadi-Nameh‹ genannt. Der ›Bustan‹ ist in der Masnawi-Form [bestehend aus zwei sich reimenden Halbversen] verfasst, und es herrscht das gleiche Versmaß wie im ›Schahname‹ vor. Er umfasst eine Einleitung sowie zehn Kapitel. In dieser Schrift wird Ethik mit Politik, praktischer Theosophie oder Weisheit und mit Lebensregeln kombiniert. Die Themen werden in Form von Erzählungen und Dialogen behandelt. Die Erzählungen stellen die menschlichen Tugenden in verschiedenen Ereignissen dar. Saadi, der Meister der Rede, schafft mit Kühnheit in viertausend Versen ein unvergängliches Werk. Er bringt den Menschen und sein ideales Leben in unterschiedlichen Themen in poetischer Form zum Ausdruck. Es geht um den Aufbau einer angemessenen Gesellschaft der Menschen jedes Zeitalters. Themen wie Gotteserkenntnis, Dankbarkeit, Weisheit, die richtige Herrschaft und Verwaltung, Beachtung der Menschenrechte, Zufriedenheit und Opferbereitschaft, lassen den umfassend gebildeten Charakter Saadis anklingen. Aus diesem Grund wird der ›Bustan‹ gelegentlich auch als ›Saadis Utopia‹ bezeichnet.
Der ›Golestan‹
Der ›Golestan‹ besteht aus einer Einleitung und acht Kapiteln. Die hinreißende Einleitung zum Golestan ist einer der schönsten Prosatexte, vielleicht sogar der schönste Text in der persischen Sprache. Sie beginnt mit einem Gotteslob sowie der Dankbarkeit gegenüber Gott. Der Dichter bringt zum Ausdruck, aus welchem Grund der ›Golestan‹ verfasst wurde. Im Anschluss wird der Inhalt der acht Kapitel erläutert. Die Reihenfolge der Themen ist wie folgt: der Charakter der Könige, das Verhalten der Mystiker, die Tugend der Genügsamkeit, die Vorteile des Schweigens, Liebe und Jugend, Schwäche und Alter, Einfluss der Erziehung, gute Gesprächsführung.
Dieses Buch ist bis in unsere Zeit eines der beliebtesten, besten und meistgelesenen Bücher in der iranischen Kultur. Sein Erfolg beruht auf der Sorgfalt bei der Themenauswahl und auf dem Geschick bei der Ausschmückung der Rede.
Saadis ›Golestan‹ ist ein Spiegel der gesellschaftlichen und kulturellen Ereignisse seiner Zeit, der die Gewohnheiten und das Verhalten der Menschen genau wiedergibt. Die Welt, die dort dargestellt wird, ist real und erreichbar, nicht fiktiv und utopisch. Viele Passagen der Rede Saadis sind mündlich überliefert und zu oft zitierten Sprichwörtern geworden:
Was vergänglich ist, ist nicht liebenswürdig.
Wessen Rechnung in Ordnung ist, der braucht die Kontrolle nicht zu fürchten.
In einigen kurzen Passagen im ›Golestan‹ sind Zusammenfassungen langer, belehrender Texte enthalten: »Drei Dinge haben keinen Bestand: Das Geld ohne Handeln, die Wissenschaft ohne Forschung und der Staat ohne Staatskunst.« – »Zweierlei Leute gibt es, die vergebliche Mühe auf sich nehmen und sich mit unnützer Anstrengung plagen: die einen, welche Geld zusammentragen und nichts davon ausgeben, die anderen, welche Wissen erwerben und dieses nicht anwenden.«
Einige Schriftsteller haben versucht, den ›Golestan‹ nachzuahmen und vergleichbare ästhetische literarische Schriften zu verfassen. Dieser Versuch ist nach Ansicht aller Literaten und Literaturkenner gescheitert. Kein Werk in der persischen Literatur ist dem ›Golestan‹ ähnlich.7 Zusätzlich zu den oben erwähnten Werken ist auch die gesammelte Ausgabe Saadis ›Kolliat-e Saadi‹ bekannt. Zu seinen Werken gehören ebenfalls Vierzeiler, Elegien (Lobgedichte) und Ghaselen in arabischer Sprache. Auch gibt es Abhandlungen in Form von Prosatexten. Diese Werke sind den zuvor erwähnten Werken gegenüber weniger bekannt. Ob sie tatsächlich von Saadi verfasst worden sind, ist nicht sicher.
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http://spektrum.irankultur.com/wp-content/uploads/2017/06/Die-Bedeutung-Saadis.pdf
Erschienen in Spektrum Iran 2-2017– Wer ist der iranische Dichter-Philosoph Saadi?