Ghadir Chum ist ein Ort auf ca. halber Strecke zwischen Mekka und Medina. Der Ort erlangte in der islamischen Geschichte Bekanntheit durch das sehr wichtige Ereignis bei der Rückkehr des Propheten Muhammad (s.) von der Abschiedspilgerfahrt, bei dem er Imam Ali (a.) erneut zu seinem Nachfolger erklärte. Das Ereignis wird gefeiert im Fest von Ghadir [id-ul-ghadir].
Der Name „Ghadir Chum“ (persisch: غدیر خم) bedeutet „Brunnen von Chum“, da sich an dem Ort eine Wasserstelle befindet. Das dazugehörige Tal heißt Tal [wadi] von Chum. Als Prophet Muhammad (s.) diesen Ort am 18. Dhul-Hidscha 10 n.d.H. (16. März 632) auf der Rückkehr von seiner Abschiedspilgerfahrt passierte, wurde der Verlautbarungsvers [ayat-ut-tabligh] offenbart.
Am Morgen des Tages wurde ein Vers des Heiligen Quran als Offenbarung [wahy] an den Propheten Muhammad (s.) herabgesandt, in dem es heißt: „O du der Gesandte. Entfalte (Verkünde) das, was zu dir von deinem Herrn hinabgesandt worden ist; und falls du es nicht tust, so hast du sein Gesendetes nicht entfaltet. Und Allah schütz dich vor der Menschheit. Wahrlich, Allah leitet nicht recht das Volk der Abstreitenden.“ Der Vers verdeutlicht, dass das zu Verkündende derart brisant ist, dass einige Menschen sich dagegen wehren werden.
Daraufhin legte er eine Rast ein, um eine Ankündigung für die heimkehrenden Pilger zu machen, die ihn von Mekka begleitet hatten und die sich von dieser Kreuzung aus zerstreuen würden, um an ihre Bestimmungsorte zu gelangen. Auf Hinweis von Prophet Muhammad (s.) wurde für ihn eine Kanzel aus Ästen errichtet. Er ließ diejenigen, die vorausgeeilt waren, zurückrufen und wartete auf diejenigen, die nachkamen, so dass am Ende ca. 100.000 Muslime anwesend waren. Nach dem Mittagsgebet setzte sich Prophet Muhammad (s.) auf die Kanzel und hielt seine letzte öffentliche Rede vor größerer Versammlung vor seinem Ableben drei Monate später.
Der Höhepunkt seiner Predigt war, als er Imam Ali (a.) an die Hand nahm und seine Anhänger fragte, ob er die höchste Autorität [mawla] über sie hätte. Die Menge antwortete: „So ist es, oh Gesandter Allahs“. Daraufhin folgte seine (s.) berühmte Ghadir Chum Ermächtigung:
„Derjenige, dessen Herr [maula] ich bin, dessen Herr [maula] ist auch Ali. Oh Gott, sei der Freund dessen, der ihn zum Freund hat und sei der Feind dessen, der ihn zum Feind hat.“
Unmittelbar nach dem Ende der Rede wurde Prophet Muhammad (s.) folgender Vers aus dem Heiligen Quran offenbart:
Heute habe ich eure Religion vervollkommnet und meine Gnade an euch erfüllt, und ich war zufrieden, dass der Islam eure Religion sein wird (Heiliger Quran 5:3). Der Vers gilt als typischer Gedankensprung im Heiligen Quran, da die Information besonders geschützt werden musste.
Nach der Verkündung bat der Prophet Muhammad (s.) jeden, Imam Ali (a.) den Treueid zu schwören und ihm zu gratulieren. Unter denen, die Folge leisteten, war auch Umar ibn Chatab, der sagte: „Gratuliere Sohn von Abu Talib, heute bist du der Herr aller gläubigen Männer und Frauen geworden.“
Dieses Ereignis wird übereinstimmend von allen Rechtsschulen bestätigt, auch von den sunnitischen Gelehrten, auch in der jüngeren Geschichte, wie z.B. von Salim al-Bischri in der Konsultation [al-muradschaat]. Es ist nicht, wie fälschlicherweise oft behauptet wird, ein „schiitisches“ Ereignis. Die Anzahl der sunnitischen Quellen, die dieses Ereignis überliefern, sowohl im Detail als auch als Zusammenfassung, ist sehr groß. Dieses historische Ereignis wurde von 110 Gefährten des Propheten Muhammad (s.), 84 Gefährtennachfolgern und mehreren hundert Gelehrten der islamischen Welt überliefert.
Gemäß mancher Überlieferung empfing Prophet Muhammad (s.) den Treueid zu dieser Verkündigung zum Nouruz, was darauf hindeutet, dass er drei Tage an dem Ort blieb.
Eine kleine Auswahl der Quellen ist hier aufgeführt:
alHakim alNaysaburi, alMustadrak ala al-Sahihayn (Beirut), Band 3, S. 109-110, S. 133, S. 148, S. 533.
Tirmidhi, Sunan (Kairo), Band 5, S. 633
Ibn Madscha, Sunan, (Kairo, 1952), Band 1, S. 45
Ibn Hadschar al-Asqalani, Fath al-Bari bi Scharh Sahih al-Buchari, (Beirut, 1988), Band 7, S. 61
Al-Suyuti, al-Durr al-Manthur, Band 2, S. 259 und S. 298
Radhi, Tafsir al-Kabir, (Beirut, 1981), Band 11, S. 53
Ibn Kathir, Tafsir al-Qur’an al-Azim, (Beirut), Band 2, S. 14
Ibn al-Athir, Usd al-Ghaba fi Marifat al-Sahaba, (Kairo), Band 3, S. 92
Ibn Hadschar, Tahdhib al-Tahdhib, (Hyderabad, 1325), Band 7, S. 339
Ibn Kathir, al-Bidayah wa al-Nihayah, (Kairo, 1932), Band 7, S. 340, Band 5, S. 213
Ahmad ibn Hanbal, al-Musnad, Band 1, S. 119
Obwohl eine große Anzahl der sunnitischen Gelehrten aller Epochen und Denkrichtungen diese Begebenheit und die historischen Worte des Propheten Muhammad (s.) bestätigt haben, haben sie es schwer, es in Einklang zu bringen mit dem, was nach dem Ableben des Prophet Muhammad (s.) geschah. Der wichtige Aspekt der Meinungsverschiedenheit baut auf der Bedeutung des Begriffs „Maula“ bzw. dem Derivat „Wali“ auf. Viele sunnitische Gelehrte behaupten, dass der Prophet Muhammad (s.) bei dem Ereignis Imam Ali (a.) lediglich als „Freund“ und „Helfer“ der Muslime vorstellen wollte.
Die Offenbarung [wahy] verschiedener Verse aus dem Heiligen Quran, die große Versammlung, die letzten Abschnitte des Lebens des Propheten Muhammad (s.), werden von Schiiten als ultimative Wiederholung dessen verstanden, worauf Prophet Muhammad (s.) bereits einige Male hingewiesen hatte, nämlich die Bestimmung seiner Nachfolge als höchste Autorität. So wird es von Muslimen der schiitischen Glaubensrichtung bezeugt und geglaubt. Daher ist der 18. Dhul-Hidscha bei Schiiten ein großer Feiertag und das Fest von Ghadir [id-ul-Ghadir] wird gefeiert.
Hingegen begrenzen sunnitische Gelehrte die Rolle Imam Alis (a.) auf eine „Freundschaft“. Alle Unterschiede zwischen den Hauptzweigen des Islam sind letztendlich auf diesen Unterschied im Verständnis auf Imam Alis (a.) Rolle zurückzuführen.
Sayyid Abdalhussain Scharaffuddin al-Musawi widmet dem Thema ausführliche Abschnitte seiner Konsultation [al-muradschaat], insbesondere die 54. Konsultation (Der Glanz der Überlieferungen zu Ghadir) und die darauf folgenden Abschnitte.
Aufgrund des Drucks späterer unislamischer Erbdynastien ab Muawiya ibn Abu Sufyan sind die Ereignisse aufgrund des Drucks der Gewaltherrscher so sehr in Vergessenheit geraten, dass als die Nachricht vom Märtyrium Imam Ali (a.) in der Gebetsnische [mihrab] verbreitet wurde, viele sich wunderten, dass Imam Ali (a.) überhaupt betete.
http://www.eslam.de/begriffe/g/ghadir_chum.htm