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Heiko Aufdermauer auf der iranischen Filmwoche in Berlin

Am 9. März eröffnete die iranische Filmwoche in Berlin mit einem Gastauftritt des Berliner Filmemachers Heiko Aufdermauer. In einem bewegenden Vortrag erzählte der Regisseur seine persönliche Begegnung mit der iranischen Filmszene, die bis heute noch anhält.

Heiko Aufdermauer ist ein Berliner Regisseur und Filmproduzent mit einer besonderen Liebe für das iranische Kino. 2006 drehte er zum ersten Mal im Rahmen eines Studentenaustausches einen kurzen Film für das ZDF im südiranischen Minab. Während zahlreicher folgender Iranreisen tauchte er tief in die iranische Filmszene ein. Gerade bereitet er nach der Fertigstellung seines langen Dokumentarfilms BERLIN BYTCH LOVE den Dreh einer GEO Reportage im iranischen Hamedoun vor.

Hier folgt der Vortrag im Wortlaut:

Liebes Publikum der iranischen Filmwoche

Vielen Dank für die große Ehre heute hier zur Eröffnung der Filmwoche sprechen zu dürfen. Mein Name ist Heiko Aufdermauer, und ich bin Berliner Filmregisseur und Produzent mit einem besonderen Faible für die Grenzgebiete zwischen fiktionalen und dokumentarischen Arbeiten.

Heute bin ich eingeladen, als ein Kenner des iranischen Kinos ein paar Worte zu sagen. Und ich muss Ihnen gestehen: ich liebe das iranische Kino – aber ich bin bei weitem kein Kenner.

Deswegen möchte ich auch heute die Gelegenheit nutzen, ein paar Worte zu sagen – nicht zum iranischen Kino allgemein, denn das können andere besser, sondern ich will Ihnen von meiner ganz persönlichen Erfahrung mit dem iranischen Kino erzählen.

Mein erstes bewußtes filmisches Erlebnis war Bahman Ghobadis „Zeit der trunkenen Pferde“. Was   war   das?   Ein Dokumentarfilm? Ein Spielfilm? Waren das Schauspieler:innen? Oder echte Menschen? Starben die Pferde dort wirklich auf dem verschneiten Pass? Oder war das gespielt?

Das iranische Kino traf mich vor etwas mehr als 20 Jahren mit der Wucht einer Realität, die ich noch nicht kannte. Einer Realität, die nicht unbedingt mit Realismus zu tun hatte, sondern eher damit, dass ich das Gefühl hatte, hier im Kino vollständigere Menschen abgebildet zu sehen. Menschen, die eine Dimension mehr zu haben schienen, als alles, was ich aus dem westlichen Kino kannte.

Ich musste unbedingt herausfinden, womit ich es zu tun hatte und zusammen mit meinem damaligen Professor Klaus Stanjek an der Filmuni Babelsberg initiierten wir einen Studentenaustausch mit einer FilmUni aus Teheran.

Nun durfte ich eintauchen nicht nur in die iranische Kultur, sondern auch  in die Entstehung des iranischen Kinos – ich traf Menschen, die mit Mr. Kiarostami arbeiteten, mit Jafar Panahi, mit Makhmalbaf oder Asgar Farhadi. 

Ich begann zu verstehen, wie es dem iranischen Kino immer wieder gelingt, in der absoluten Reduktion etwas zu erzählen von unserem existentiellen Geworfen-sein in diese Welt.

Wo das westliche Kino Welten untergehen lässt, oder versucht in monumentalen Bildern große Zusammenhänge zu erzählen, geht es dem iranischen Kino eher die Beschreibung eines Augenblicks.

Beispielsweise der Moment, in dem eine junge Frau auf einmal aus einem Bus aussteigt, nachdem sie es vorher nie getan hatte – oder ein Stück Holz, das von der Meeresströmung in zwei Teile geteilt wird.

Im klar fokussierten Blick auf das ganz Kleine begann sich in diesem Detail die ganze Welt zu spiegeln. Scheinbar banale Augenblicke werden mit Bedeutung aufgeladen. Ohne große Erklärungen. Ohne viele Worte.

Wie kommen diese Filme zustande? Woher kommt die Gegenwart des Augenblicks innerhalb eines filmischen Produktionsprozesses mit seinen ganzen Zwängen?

Ich möchte das auf zwei Ebenen beantworten – einmal praktisch – einmal kulturell.

Vor ein paar Jahren hatte ich die Chance mit Bahman Ghobadhi in Co Regie den Teil eines Episodenfilms hier in Berlin zu drehen. Wir arbeiteten ohne Drehbuch, ohne das Wissen, was am nächsten Tag gedreht werden würde, ohne Wissen, was in einer Szene passieren würde. 

Wir trafen uns also am Set – nehmen wir an, die junge Schauspielerin ist zuhause – und alles geschah Schritt für Schritt aus dem Augenblick heraus.

Da es aber kein Buch gab, lag die Konzentration auf etwas anderem als auf Dialog oder Handlung. nämlich auf den kleinen, nebensächlich erscheinenden Momenten. sie kocht etwas, sie geht zur Tür, sie wartet, Zeit verstreicht.

Ein Drehbuch mit seinen geschriebenen Dialogen ist wie ein Fahrplan. Und immer sind wir schon ein wenig diesem Augenblick voraus – sind schon an der nächsten Station ausgestiegen. Am nächsten Satz angekommen. Ohne Drehbuch aber blieb uns nur der Augenblick. Der Augenblick war es, in dem die Schauspielerin sich befand und aus dem die Szene sich entwickelt.

Und auch auf die Gefahr hin, hier einen postkolonialen exotischen Blick auf die iranische Kultur zu werfen: für mich war genau dieses “im Augenblick” sein die beherrschende kulturelle Erfahrung im Iran. 

Nun zur zweiten erwähnten Ebene: In der genaueren Beschäftigung mit dem Kino von Mr. Kiarostami wurde mir die Parallele zwischen persischer Lyrik und dem iranischen Kino bewußt. Es war der gleiche strenge formale Aufbau, die gleiche Schlichtheit und Reduktion. Mr. Kiarostami sagte einmal, er müsse alles vereinfachen, um verstanden zu werden. 

In einem anderen Interview (ich beziehe mich hier auf einen Vortrag von Dr. Mahmoud Hosseini Zad) sagte er: 

“Ich habe durch beschlagene Scheiben die Landschaft fotografiert und dadurch einen Teil weggelassen. Das Gleiche habe ich mit Gedichten von Hafez gemacht: ich habe Teile herausgenommen, damit der Leser nicht das ganze Gedicht vor Augen hat.

 So wird im iranischen Kino oft das Bild des Gesamten durch das Detail ersetzt, das Sichtbare durch das Hörbare, das Sagbare durch das Unsagbare. 

Ich kann Ihnen nicht versichern, ob das, was ich in diesen Filmen gesehen habe, auch jemand anders sieht. Denn im iranischen Kino verschwimmen für mich die Grenzen. Zwischen dem was erzählt wird und dem was ich sehe, zwischen dokumentarischem und fiktionalem, zwischen Erzählung und Philosophie. Von Mr. Kiarostami selbst stammt der Ausspruch: „nur mit der Lüge kann man sich der Wahrheit nähern“.

Durch meine vielen Besuche im Iran seitdem durfte ich verstehen, dass ihr Kino auch so wunderbare Blüten entwickelt, weil es auf einem so reichen kulturellen Boden wächst. Ich habe kein anderes Land kennen gelernt, in dem bei einer abendlichen Runde jemand aufsteht und auswendig Hafez zitiert – oder Rumi. Und auch der Taxifahrer, der uns später in der Nacht durch Teheran fahren wird, wird diese Zeilen aus dem Herzen heraus kennen – und sie haben eine Bedeutung für sein Leben.

Vielleicht das Wichtigste, was Mr. Kiarostami der Lyrik und besonders dem persischen Dichter Omar Khayyam verdankt ist eine Feier des Lebens gerade im Angesicht des Todes. In einem Interview sagte er einmal:

 „Gepriesen sei das Leben, selbst und gerade im Angesicht des Todes. Den Wert des Lebens kannst Du dann begreifen, wenn Du den Tod vor Augen hast.“

In diesen schwierigen Zeiten wünsche ich uns, dass die Worte von Mr Kiarostami und Omar Khayyam uns Mut geben mögen und unseren Blick schärfen für die zarten, vielleicht auch wütenden, existentiellen und philosophischen Momente die wir in den kommenden Tagen hier im Kino werden erleben dürfen. 

Ich freue mich sehr darauf und wünsche Ihnen eine wunderbare Filmwoche.

Vielen Dank.

 

 

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